Stellen wir uns für einen Moment folgendes vor: Es gibt einen Ort, an dem jeder Person beim Verlassen der Wohnung eine Nummer an Brust und Rücken geklebt wird. In den Strassen verfolgen Kameras lückenlos sämtliche Bewegungen. Bei einem spontanen Gespräch werden Kommunikationspartner, Ort und Zeitpunkt akribisch aufgezeichnet. Selbst ein Blick durch ein Schaufenster wird protokolliert. Und selbstverständlich auch der prüfende Griff in die Äpfelauslage beim Gemüsehändler.
Stellen wir uns weiter vor: Am Abend fehlt der Apfel in der Auslage. Der Händler informiert die Polizei. Und diese klopft kurz darauf an der Tür der prüfenden Person.
Eine erschreckende Vorstellung?
Im Internet und bei der Handybenutzung ist genau dies Realität.
Die IP-Adressen, die den Internet-Anschlüssen individuell zugeordnet sind, und die sogenannten Randdaten aus E-Mail-, Chat-, Telefon-, SMS-Kommunikation und sogar aus der Briefpost müssen von den Providern aufgezeichnet werden.
Im letzten Jahr wurden die Handystandortdaten in weit über hundert Fällen sogar zur Rasterfahndung verwendet. Dabei wird nicht abgefragt, wo sich eine bestimmte Person befunden hat, sondern umgekehrt, welche Mobilfunk-TeilnehmerInnen zu einem spezifizierten Zeitpunkt über eine definierte Antenne (oder in einem Gebiet) ihr Handy benutzt haben. Durch eine solche Rasterung sind unter Umständen hunderte oder tausende Personen angehalten, ihre Unschuld zu belegen.
Nun plant der Bundesrat, dass diese Vorratsdatenspeicherung von 6 auf 12 Monate ausgedehnt werden soll. Der Ständerat hat am Mittwoch dem Gesetz zugestimmt.
Er hat zusätzlich beschlossen, dass von den Providern die Nummer an Brust und Rücken – im Internet die IP-Adresse – nicht nur 6 oder 12 Monate lang sondern gleich während der Dauer der Kundenbeziehung sowie während 12 Monaten nach deren Beendigung geliefert werden müssen.
In einer freien, demokratischen Gesellschaft dürfen Menschen nicht «auf Vorrat» (also Präventiv) überwacht werden. Erst bei einer konkreten Tat oder Gefahr darf der Staat aktiv werden. Wichtige Grundrechte, wie Schutz der Privatsphäre, Achtung des Post und Fernmeldeverkehrs, freie Meinungsäusserung, Versammlungsfreiheit und die Unschuldsvermutung dürfen nicht einer vermeintlich einfacheren Strafverfolgung untergeordnet werden.
Schade, dass dies Bundesrat und Ständerat anders sehen – und gleich auch noch den Einsatz von Staatstrojanern und IMSI-Catchern legalisieren und einen stark erweiterten persönlichen Geltungsbereich beschliessen.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten viel zum neuen Gesetz veröffentlicht. Die wichtigsten, aktualisierten Links sind:
- Unser Dossier: Totalrevision BÜPF und in der Geschäftsdatenbank beim Bund
- Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung
- Die Daten und Straftaten zur Vorratsdatenspeicherung
- Swiss Lawful Intercept Report 2014 (PDF)