In dieser Woche wurde das schriftliche Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs veröffentlicht, welches die Gesetzesbestimmungen zu Vorratsdatenspeicherung ausser Kraft gesetzt hat.
Der Umstand, dass die Speicherung durch Anbieter öffentlicher Kommunikationsdienste – also durch Private – erfolgt, die […] zur Speicherung verpflichtet werden, ändert nichts am Vorliegen eines Eingriffs in […] Art. 8 EMRK durch den Gesetzgeber. (Abschnitt 161)
Regelungen, die wie die angefochtenen einen gravierenden Grundrechtseingriff bilden, können zur Bekämpfung schwerer Kriminalität zulässig sein, sofern sie mit den strengen Anforderungen des […] Art. 8 EMRK im Einklang stehen. Ob ein solcher Eingriff im Hinblick auf […] Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässig ist, hängt von der Ausgestaltung der Bedingungen der Speicherung von Daten auf Vorrat und den Anforderungen an deren Löschung sowie von den gesetzlichen Sicherungen bei der Ausgestaltung der Möglichkeiten des behördlichen und privaten Zugriffs auf diese Daten ab. Die angefochtenen Vorschriften des TKG 2003, der StPO und des SPG erfüllen diese Anforderungen nicht. (Abschnitt 164)
Ausgangspunkt der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung ist die Einsicht, dass das Grundrecht auf Datenschutz in einer demokratischen Gesellschaft – in der hier bedeutsamen Schutzrichtung – auf die Ermöglichung und Sicherung vertraulicher Kommunikation zwischen den Menschen gerichtet ist. Der Einzelne und seine freie Persönlichkeitsentfaltung sind nicht nur auf die öffentliche, sondern auch auf die vertrauliche Kommunikation in der Gemeinschaft angewiesen; die Freiheit als Anspruch des Individuums und als Zustand einer Gesellschaft wird bestimmt von der Qualität der Informationsbeziehungen. (Abschnitt 167)
In personeller Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass von der Speicherung im Wesentlichen die Nutzer von Festnetz, Mobilfunk, Internet-Zugangs- und E- Mail-Diensten […] und damit große Teile der Bevölkerung in Österreich betroffen sind. (Abschnitt 182)
Wie der Verfassungsgerichtshof bereits […] festgestellt hat, erfasst die Vorratsdatenspeicherung fast ausschließlich Personen, die keinerlei Anlass – in dem Sinne, dass sie ein Verhalten gesetzt hätten, das ein staatliches Einschreiten erfordern würde – für die Datenspeicherung gegeben haben […]. Vielmehr nutzt der ganz überwiegende Anteil der Bevölkerung öffentliche Kommunikationsdienste zur Ausübung von Grundrechten, namentlich vor allem der Meinungsäußerungs-, Informations- und Kommunikationsfreiheit. (Abschnitt 183)
Überdies ist zu bedenken, dass angesichts der Vielzahl der Anbieter öffentlicher Kommunikationsdienste und damit von Speicherungsverpflichteten auch ein nicht überblickbarer Kreis von Personen potentiell Zugriff auf […, die] gespeicherte[n] Daten hat. Das diesbezüglich bestehende Missbrauchspotential ist wiederum bei der Beurteilung der Schwere des Eingriffs zu veranschlagen. (Abschnitt 187)
Ungeachtet des Umstandes, dass der Gesetzgeber die Speicherung von Daten […] zwar explizit und ausschließlich zur Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten, deren Schwere eine Anordnung […] rechtfertigt, zulässt […] und damit einen gesetzlich festgelegten Zweck schafft, liegt bereits in der Speicherung ein Eingriff von besonderem Gewicht. (Abschnitt 191)
Dabei ist zu veranschlagen, dass für die Daten jener Betroffenen, die keinerlei Anlass zur Speicherung gegeben haben und somit in keinerlei Zusammenhang mit dem […] festgelegten Speicherungszweck stehen, das einen Teil des Grundrechts auf Datenschutz bildende Recht auf Löschung gemäß […] DSG […] für den […] angeordneten Zeitraum von sechs bzw. sieben Monaten […] nicht gegeben ist. (Abschnitt 192)
Im Ergebnis sind die antragstellenden Parteien daher insoweit im Recht, als sie der Sache nach geltend machen, dass die Regelungen in ihrem Zusammenhang nicht verhältnismäßig sind: Die Beschränkungen dieses Grundrechts auf Datenschutz […] wären nur auf Grund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen notwendig sind und die ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar, regeln, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben erlaubt ist. Gesetzliche Beschränkungen des Grundrechts auf Datenschutz müssen das gelindeste Mittel zur Zielerreichung bilden und in einer Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der mit ihnen verfolgten Ziele verhältnismäßig sein. (Abschnitt 199)
Diese Anforderungen erfüllen die Regelungen betreffend die Vorratsdatenspeicherung in ihrer Zusammenschau […] aus den angeführten Gründen nicht. (Abschnitt 200)
Im Kern ist genau dieser Verhältnismässigkeitsgrundsatz, weil von einer Vorratsdatenspeicherung unterschiedslos alle betroffen sind, auch in der Schweiz nicht gewahrt. Dieser Umstand stellt dann auch die Hauptargumentation im Verfahren zur Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz, das die Digitale Gesellschaft angestrengt hat und vorläufig vom Dienst ÜPF abschlägig beantwortet worden ist. Die Digitale Gesellschaft wird gegen die Verfügung am Bundesverwaltungsgericht Beschwerde führen und diese nötigenfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weiterziehen.