Als Reaktion auf 9/11 erklärten die USA den «Krieg gegen den Terror». Zusammen mit verbündeten Staaten gingen sie mit aller Härte gegen die Taliban in Afghanistan, und Saddam Husseins Regime im Irak vor. Mehrere hunderttausend Opfer – zumeist aus der Zivilbevölkerung – waren zu beklagen. Weitere Folgen sind die alltägliche Tötung verdächtiger Personen im globalen Drohnenkrieg und die grösste Überwachungsmaschinerie der Menschheitsgeschichte. Die Welt ist dadurch nicht friedlicher und nicht sicherer geworden.
Terror lässt sich nicht mit Gewalt erfolgreich bekämpfen
Im Irak konnte sich aus dem Widerstand gegen die Invasion der «Islamische Staat» bilden und nach Syrien ausbreiten. Die Organisation kontrolliert mittlerweile grosse Gebiete, in denen sie ihre Schreckensherrschaft ausüben kann. Allein vier Millionen Menschen sind aufgrund des Bürgerkriegs bereits aus Syrien geflüchtet. Weitere sieben Millionen mussten innerhalb des Landes Zuflucht suchen, das tagtäglich vom Terror getroffen wird.
Nach den schrecklichen Anschlägen in Paris, hat auch François Hollande einen «Kampf ohne Gnaden» angekündigt. Doch damit lässt sich der Krieg in Syrien und gegen den IS nicht «gewinnen». Im Gegenteil: Luftangriffe und der Drohnenkrieg haben bereits unzählige zivile Opfer gefordert und hinterlassen eine traumatisierte Bevölkerung. Die Folgen sind Flucht, Radikalisierung und eine Gewaltspirale, die nun auch Europa erreicht hat. Eine weitere Eskalation muss verhindert werden. Vordringlich ist, die Gewaltspirale und den Krieg in Syrien zu stoppen.
Menschenrechte gehören auch in der Sicherheitspolitik ins Zentrum der Debatte
Die westlichen Geheimdienste haben nach 9/11 eine bis dato für unmöglich gehaltene Totalüberwachung aufgebaut. Internet-Konzerne, Verbindungsknotenpunkte, Hardware-Hersteller und selbst Verschlüsselungsstandards waren und sind Ziele der Nachrichtendienste aus den USA, aus Grossbritannien, aber auch Deutschland. Die erklärte Absicht ist, möglichst jede Kommunikation auf dem Planeten zu überwachen. Dies hat die Veröffentlichung der Dokumente von Edward Snowden eindrücklich bewiesen.
Auch in Frankreich werden sämtliche Verbindungsdaten der Bevölkerung für 12 Monate aufgezeichnet. Der französische Geheimdienst scannt die Internet-Glasfaserkabel nach Stichworten ab. Und nach dem Angriff auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» wurde der Nachrichtendienst auch personell deutlich ausgebaut.
All diese Massnahmen konnten die schrecklichen Attentate in Paris nicht verhindern. Das Menschenrecht auf Privatsphäre wurde mit der globalen Massenüberwachung hingegen faktisch abgeschafft: Wir sind jederzeit lokalisierbar, unser Verhalten ist einsehbar, das Beziehungsnetz wird offengelegt.
Wenn nun in einem Kommentar in der NZZ am Sonntag gefordert wird, dass es «mehr Überwachung, mehr Datenerfassung, mehr Staatstrojaner, mehr Verdächtigenlisten, mehr polizeiliche Kontrollen» geben müsse, wird der falsche Schluss gezogen und die schrecklichen Ereignisse in Paris instrumentalisiert.
Ein Mensch – verzweifelt, hasserfüllt und radikalisiert genug, um sich mit einem Sprengstoffgürtel unter Mitmenschen zu begehen und ein Blutbad anzurichten – lässt sich mit diesen Massnahmen kaum aufhalten. Eine Verschärfung ist nicht zielführend: Die reflexartige Forderung nach noch mehr Überwachung, Kontrolle und gnadenloser Vergeltung ist falsch.
Die universellen Menschenrechte sind eine der wichtigsten Errungenschaften der westlichen Zivilisation. Dazu gehört ein Leben in Friede, Würde und Freiheit. Dazu gehören ebenfalls die Privatsphäre, die Meinungs- und Informationsfreiheit. Auch Sicherheitspolitik muss sich an diesen Menschenrechten orientieren.
Prävention, Verhältnismässigkeit und Rechtsstaatlichkeit – und eben nicht «Augenmass» – gehören ins Zentrum der Debatte. Gerade auch in Anbetracht von Anschlägen müssen wir für eine offene, tolerante Gesellschaft eintreten und unsere Werte hochhalten. Ein Abbau unserer Grundrechte und Freiheiten hingegen, gibt dem Terror Recht.