Die Digitale Gesellschaft hat seit Anfang des Jahres an einem Appell für einen fairen Wahlkampf im Internet gearbeitet. Im Juli wurden die Parteisekretariate aufgefordert, den Appell zu unterstützen. Nun liegen die Umfrageresultate und ein Realitätsabgleich vor.
Seit den Präsidentschaftswahlen in den USA blickt man auch in der Schweiz bei Wahlen skeptisch auf die Mittel, die beim Wahlkampf im Internet eingesetzt werden.
Auf der einen Seite bestehen Möglichkeiten, politische Werbung nur den Personen anzuzeigen, die sich für ein Thema begeistern können. Das ist günstiger, und man erreicht Personen, die diese Werbung wohl auch besser aufnehmen oder sich zumindest weniger daran stören. Die Werbebotschaften und Versprechen können so aber nicht mehr öffentlich diskutiert werden, da sie nunmehr in einem quasi privaten Raum und individualisiert verbreitet werden.
Auf der anderen Seite muss dafür ein psychologisches Profil der Person erstellt werden, auf welche die Werbung wirken soll, was ohne die Zustimmung der beworbenen Person höchst unethisch ist und die Privatsphäre verletzt.
Appell
Um die Parteien auf diese Gegebenheiten aufmerksam zu machen, hat die Digitale Gesellschaft in Zusammenarbeit mit amtierenden Parlamentarier:innen einen Appell verfasst, der sich an die kantonalen Parteien richtet.
Anfangs Juli wurden alle Parteisekretariate in der Deutschschweiz angeschrieben, und angefragt, ob sie sich zu folgenden Punkten bekennen können:
Punkt 1: Die Urheberschaft benennen, Verzicht auf Fake Accounts
Die Parteien sollen nur Accounts verwenden, die eindeutig der Partei zugeordnet werden können. Insbesondere sollen die Parteien darauf verzichten, Aktivitäten durchzuführen, bei denen die Urheberschaft eines politischen Gegners vorgetäuscht wird.
Punkt 2: Zielgruppen dürfen nur mit Einwilligung der Betroffenen erstellt werden
Social Media Plattformen bieten die Möglichkeit, Zielgruppen mit Daten von Personen zu erstellen die extern aggregiert oder angereichert wurden: Entweder mit E-Mail Adressen von einem Newsletter, einer Telefonliste oder über Tracking-Tools, die auf der eigene Homepage eingebaut werden. Sie ermöglichen auch das maschinelle Auswerten von Sujets (Werbebotschaften) anhand von bestehenden Zielgruppen: Z.B. Frauen über 30 Jahre in Basel, die an Politik interessiert sind und ein Musikinstrument spielen, reagieren aus Sujet 7 am besten.
Punkt 3: Verzicht auf «Dark Ads»
Sämtliche Werbesujets sollen auch über das öffentliche Profil (oder die Website) verfügbar gemacht werden. Dazu gibt es von den grössten Socialmedia Firmen mittlerweile auch Tools dazu.
Der vollständige Appell kann hier eingesehen werden.
Reaktionen
Der Appell wurde anfangs Juli an die Parteisekretariate der Deutschschweizer Parteien per E-Mail versendet. Die Parteisekretariate in den Kantonen mit mehr als als 100’000 Einwohner:innen wurden dann ca. einen Monat später nochmals daran erinnert.
Insgesamt wurden 140 Parteisekretariate angeschrieben.
Das Positive zuerst: Kein Sekretariat hat unseren Appell abgelehnt. Explizit akzeptiert wurde er aber auch nur von knapp 30%. Wenn man sich auf die grössten Kantone beschränkt (was dann 87 kantonale Sektionen sind), ist die Zustimmungsrate dann doch immerhin 43%. Umgekehrt lässt sich auch sagen, dass sich die Mehrheit der kantonalen Sektionen nicht zu einem fairen Wahlkampf bekennen wollen.
Augenfällig ist ein grosser Unterschied zwischen links und rechts: So kommen SVP, FDP und CVP je auf eine Sektion, die dem Aufruf zustimmen. Das Feld wird angeführt von der EVP, wo sich acht Sektionen dem Appell anschliessen, dicht gefolgt von SP und Grünen mit jeweils sieben positiven Rückmeldungen.
Positive Rückmeldungen nach Kanton (Zustimmung zum Appell):
Zürich: SP, Grüne, GLP, EVP, AL, Piraten
Bern: Grüne, CVP, BDP, EVP, Piraten
Aargau: SP, Grüne, BDP, EVP, Piraten
St. Gallen: Grüne, EVP, BDP
Luzern: SP, Grüne, EVP
Basel-Land: SP, GLP, BDP, EVP
Thurgau: SP, GLP, EVP
Solothurn: SVP, SP, FDP, Grüne, BDP
Graubünden: SP
Basel-Stadt: GLP, Grüne, EVP, BaSta, Piraten
Rücklauf nach Partei
Da nicht alle Parteien in allen Kantonen zu den Nationalratswahlen antreten, hier noch die Auswertung in Prozent der Kantonen mit positiven Rückmeldungen:
Ständeratskandidat:innen
Von den 47 angeschriebenen Ständeratskandidat:innen haben wir von folgenden eine positive Rückmeldung bekommen (nach Eingang sortiert):
Franz Grüter, SVP Luzern
Ueli Fisch, GLP Thurgau
Barbara Gysel, SP Zug
Thierry Burkhart, FDP Aargau
Daniel Jositsch, SP Zürich
Cédric Wermuth, SP Aargau
Jon Pult, SP Graubünden
Pascal Fouquet, Piraten Bern
Jorgo Ananiadis, Piraten Bern
Bisherige Aktionen
Bisher sind im digitalen Wahlkampf vor allem zwei Parteien aufgefallen:
Zum einen die FDP mit der maschinellen Auswertung von ca. 2’500 Wahlsujets, was wir ganz klar unter Punkt 2 als nicht konform zu unserem Appell einstufen.
Dann die CVP mit bezahlter Werbung für fremde Kandidat:innen – und damit einem Verstoss gegen Punkt 1. Mit dem Generalsekretariat hatten wir eine Woche vor der Lancierung noch Kontakt. Im Telefongespräch wurde die Aktion der FDP heftig kritisiert. Unfair sind also vor allem die anderen.
Interessensbindung: Der Autor ist Mitglied der Piratenpartei und 2015 für sie bei den nationalen Wahlen angetreten.
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