Die vom Bundesrat präsentierten Gesetzesentwürfe zur Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus sehen massive Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte vor. Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz fordert den Gesetzgeber auf, von den präventiv-polizeilichen Massnahmen ganz abzusehen und die problematischen Vorschläge im Strafrecht zu streichen.
Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz, ein Zusammenschluss von über 80 Nichtregierungsorganisationen, stellt sich entschieden gegen zwei Gesetzesvorlagen, welche derzeit in der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats diskutiert werden und anschliessend im National- und Ständerat zur Debatte stehen.
Polizeigesetz: Gefahrenabwehr basiert auf Spekulationen
Das neue Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) soll der Polizei ausserhalb des Strafverfahrens, das heisst im präventiven Bereich, mehr Möglichkeiten gegen vermeintliche Gefährder/innen einräumen. Für die Anordnung von Massnahmen bedürfen die Behörden einzig gewisser Anhaltspunkte, welche auf eine mögliche terroristische Aktivität in der Zukunft hinweisen. Ausgangslage bilden letztendlich Vermutungen und Spekulationen über Absichten und künftige Handlungen von Personen.
Der Polizei steht gegenüber dem oder der mutmasslichen (terroristischen) Gefährder/in eine breite Auswahl an präventiven Massnahmen zur Verfügung. Das weitaus radikalste Instrument zur Gefahrenabwehr ist die Eingrenzung des Aufenthalts auf eine Liegenschaft (Hausarrest). «Dieser präventive Freiheitsentzug zur allgemeinen Gefahrenabwehr, wie ihn die Gesetzesvorlage vorsieht, ist mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar», so Viktor Györffy von grundrechte.ch und Vorstandsmitglied der Digitalen Gesellschaft.
Kontaktverbote, Ein- und Ausgrenzungen sind massive Eingriffe in die persönliche Freiheit der Massnahmenunterworfenen. Der Hausarrest ist eine Form des Freiheitsentzuges. Die zum Vollzug der Massnahmen vorgesehene Verwendung von elektronischen Fussfesseln und die Mobilfunklokalisierung stellen schwere Eingriffe in die Privatsphäre dar. Aus der Verwendung der Randdaten aus der Telekommunikation geht hervor, mit wem, wann, wie lange und von wo aus die überwachte Person Verbindung hat oder gehabt hat. Wobei die Standortdaten aufgezeichnet werden, wann immer eine Mobilfunk-App mit einer Gegenstelle im Internet kommuniziert (und nicht der Mensch). Die Daten stehen 6 Monate rückwirkend zur Verfügung (Vorratsdatenspeicherung).
Besonders stossend sind zudem die in der Vorlage vorgesehenen Altersgrenzen. Der präventive Hausarrest könnte bereits für Personen ab 16 Jahren, Kontakt- und Rayonverbote gar gegenüber Kindern im Alter von 13 Jahren zum Einsatz kommen. Gemäss Valentina Stefanovic von humanrights.ch steht dies «im Widerspruch zu den menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz. Das Schweizer Justizsystem ist aufgrund der UNO-Kinderrechtskonvention explizit dazu verpflichtet, die soziale Wiedereingliederung von Kindern zu fördern. Die polizeilichen Massnahmen verursachen aber vielmehr eine Stigmatisierung, wenn nicht sogar eine Kriminalisierung junger Menschen, ohne dass diese sich einer Straftat schuldig gemacht hätten».
Die NGO-Plattform fordert das Parlament auf, die Vorlage zum Polizeigesetz an den Bundesrat zurückzuweisen; als Minimum wären der Hausarrest zu streichen und die Massnahmen nicht auf Kinder und Jugendliche anzuwenden (Details siehe Stellungnahme).
Strafrecht: Vage Definition mit weitreichenden Folgen
Zur Antiterror-Strategie des Bundes gehört weiter die Vorlage «Terrorismus und organisierte Kriminalität», die Verschärfungen im Strafrecht sowie in zehn weiteren Gesetzen vorsieht.
Besonders problematisch ist dabei, dass im Strafgesetzbuch erstmals die Beteiligung an einer «terroristischen Organisation» unter Strafe gestellt wird, ohne dabei die verbotenen Gruppierungen aufzulisten. Während bisher der Gesetzgeber mit einer Liste der Terror-Organisationen für Klarheit sorgte, welche Gruppierungen verboten sind und welche nicht, soll jetzt im Strafrecht eine vage Definition einer «terroristischen Organisation» eingeführt werden, die in der Auslegung zu Missbrauch und Willkür führen wird. «Faktisch werden die kantonale Gerichte nach Gutdünken darüber entscheiden, ob eine Organisation und deren Unterstützung als terroristisch gelten oder nicht. Die kurdische PKK könnte beispielsweise in gewissen Kantonen verboten werden und in anderen nicht. Diese Vorlage führt zu Willkür und zu einer massiven Rechtsunsicherheit», sagt Patrick Walder von Amnesty International. Die geplanten Gesetzesänderungen beinhalten zudem die Verwässerung des individuellen Rechtsschutzes sowie Bestimmungen, die unnötig und unverhältnismässig sind.
Die NGO-Plattform fordert das Parlament auf, mehrere problematische Bestimmungen in der Vorlage «Terrorismus und organisierte Kriminalität» zu verwerfen oder so anzupassen, dass die Grund- und Menschenrechte gewahrt bleiben (Details siehe Stellungnahme).
Der Schutz freiheitlicher Werte ist nicht mit Mitteln zu erreichen, welche die Grundsätze einer demokratischen und rechtsstaatlichen Grundordnung unterlaufen. Eine nachhaltige Strategie gegen Terrorismus darf nicht auf menschenrechtsfeindlichen Massnahmen und systematischen Grundrechtseingriffen basieren. Vielmehr muss sie auf die Achtung der Rechte aller Menschen in der Schweiz, Integrationsmassnahmen im Bildungs- und Sozialbereich sowie die Förderung der politischen Partizipation ausgerichtet sein.
Hintergrund
Mehrere Organisationen der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz – darunter humanrights.ch, Amnesty International und grundrechte.ch sowie die Digitale Gesellschaft – hatten sich bereits in der Vernehmlassung kritisch zu den Vorlagen geäussert. Die Einwände wurden vom Bundesrat in den nun vorliegenden Entwürfen kaum berücksichtigt.
Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz ist ein Zusammenschluss von mehr als 80 schweizerischen Nichtregierungsorganisationen. Die Organisationen setzen sich für die Einhaltung der Menschenrechte in der Schweiz und/oder im Ausland ein.