Der Bundesrat will zentrale Analysemöglichkeiten für Daten aus der Vorratsdatenspeicherung schaffen. Dieser Ausbau der Ermittlungs- und Überwachungsmöglichkeiten soll aber nicht über eine Anpassung des entsprechenden Gesetzes sondern via einer Finanzvorlage ins Gesetz geschmuggelt werden.
Im September 2019 hat der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren zum Bundesgesetz über administrative Erleichterungen und die Entlastung des Bundeshaushalts eröffnet. Die Digitale Gesellschaft wurde nicht zum Vernehmlassungsverfahren eingeladen. Wir haben zufällig davon erfahren und sind über den Inhalt der Vorlage erstaunt.
Mit dem vom Bundesrat vorgelegten Bundesgesetz sollen neue Ermittlungsmethoden für Strafverfolgungsbehörden und den Nachrichtendienst geschaffen werden. Das Gesetz soll zentral die Visualisierung von Kontakt-, Kommunikations- und Bewegungsprofilen ermöglichen. Diese neuen Möglichkeiten gehen weit über «administrative Erleichterungen» oder eine «Entlastung des Bundeshaushalts» hinaus. Es handelt sich in dieser Hinsicht nicht um eine Finanzvorlage oder um eine strukturelle Reform, wie irreführend suggeriert wird.
Hintergrund: Vorratsdatenspeicherung
In der Schweiz sind sämtliche Anbieterinnen von Post-, Telefon- und Internetdiensten verpflichtet, das Kommunikationsverhalten ihrer KundInnen ohne Anlass und Verdacht für sechs Monate aufzuzeichnen. Diese Vorratsdatenspeicherung umfasst, wer wann wen angerufen hat und wie lange das Gespräch gedauert hat, wer sich wann ins Internet eingeloggt hat und für welche Dauer und wer wann wem eine SMS geschickt oder auf ein E-Mail-Postfach zugegriffen hat. Zudem werden die Standortinformationen des der Handys beziehungsweise Smartphones (auch bei der Verwendung eines Public-WLAN) gespeichert. Der Katalog umfasst ebenfalls unzählige administrative Angaben über Telefonnummern, Abonnemente und Zahlungsvorgänge. Inzwischen kann auch gespeichert werden, welche Online-Dienste und Websites genutzt werden.
Da moderne Smartphones praktisch permanent mit dem Internet verbunden sind (auch wenn nicht aktiv kommuniziert wird), werden durch das Aufzeichnen der verwendeten Handyantennen praktisch lückenlos die Aufenthaltsorte der BenutzerInnen auf wenige hundert Meter genau protokolliert. Mit den Daten kann nicht nur ermittelt werden, wo sich eine Person jeweils befunden hat, sondern auch, welche anderen Mobilfunk-TeilnehmerInnen zu einem bestimmten Zeitpunkt sich an einem bestimmten Ort aufgehalten haben, da ihr Handy die gleiche Antenne benutzt haben. Durch eine solche Rasterung (auch Antennensuchlauf genannt) geraten unter Umständen Hunderte oder Tausende von Personen unter Verdacht und sind in Umkehrung der rechtsstaatlich eigentlich garantierten Unschuldsvermutung gezwungen, ihre Unschuld nachzuweisen.
Für einen Zugriff auf die Daten reicht der «dringende Verdacht auf ein Verbrechen oder Vergehen», im Fall eines Missbrauchs einer Fernmeldeanlage sogar der Verdacht auf eine Übertretung. Die Verwendung der Vorratsdaten ist also nicht auf schwerste Straftaten beschränkt, sondern ist auch bei minder schweren Delikten wie einfacher Diebstahl, Urheberrechtsverletzung oder falschem Alarm möglich. Bei sämtlichen Straftaten über das Internet – also selbst bei einer Beleidigung –, sind die Provider gezwungen, eine Identifikation des Urhebers oder der Urheberin zu ermöglichen. Es braucht dazu auch keinen richterlichen Beschluss. Mit der Vorratsdatenspeicherung werden alle Menschen in der Schweiz unter Generalverdacht gestellt und umfassend überwacht.
Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) ist es nun auch dem Nachrichtendienst des Bundes legal möglich, auf die sogenannten Randdaten des Fernmeldeverkehrs zuzugreifen. Dieser Eingriff stellt eine der sogenannten «genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen» dar. Wie bei der Strafverfolgung braucht es zur Identifikation von Internetbenutzern jedoch keinerlei Bewilligung. Es reicht eine «konkrete Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit».
Weil von der Vorratsdatenspeicherung ausnahmslos alle betroffen sind, stellt sie einen unverhältnismässigen Eingriff in den verfassungsmässig garantierten Schutz der Privatsphäre dar. Die Digitale Gesellschaft hat deshalb ein Gerichtsverfahren angestrengt. Die Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung ist aktuell am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hängig.
Bundesgesetz über administrative Erleichterungen und die Entlastung des Bundeshaushalts
Mit dem vom Bundesrat vorgelegten Bundesgesetz über administrative Erleichterungen und die Entlastung des Bundeshaushalts soll mit einer Änderung des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) in Art. 7 Bst. d sowie Art. 8 Bst. d und e eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, damit diese Daten «im Verarbeitungssystem des Dienstes ÜPF analysiert und deren Ergebnisse visualisiert werden können». Weiter gemäss erläuterndem Bericht (Seite 11 und 14): «Daraus können weitreichende Schlüsse über Personennetzwerke sowie Kommunikations- und Bewegungsgewohnheiten gezogen werden. […] Mit diesen Analysen können in Ermittlungsverfahren Kenntnisse über Aktivitäten, soziale Netzwerke und das Verhalten von überwachten Personen gewonnen werden.»
Die Änderung betrifft also nicht einfach eine «administrative Erleichterung» oder eine «Entlastung des Bundeshaushalts». Das Gesetz ist keine Finanzvorlage, sondern eine Mogelpackung. Sie beinhaltet einen Ausbau der Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden und des Geheimdienstes. Die vorgesehenen Analysemöglichkeiten stehen im Zusammenhang mit den im BÜPF, in der Strafprozessordnung (StPO) und im NDG vorgesehenen Überwachungsmöglichkeiten, einschliesslich der Vorratsdatenspeicherung, bei welcher es sich um die anlasslose und verdachtsunabhängige Massenüberwachung aller Menschen in der Schweiz handelt.
Mit dem Gesetz sollen neue, zentrale Ermittlungsmethoden für Strafverfolgungsbehörden und den Nachrichtendienst geschaffen werde. Es ist sachfremd, dies in eine Vorlage integrieren zu wollen, welche finanzielle Entlastungen zum Thema hat. Das Ansinnen ist zu streichen und, falls weiterhin gewünscht, korrekt über eine Gesetzesänderung des betreffenden Erlasses und unter Beizug der korrekten Vernehmlassungsadressaten neu zu regeln. Nur so kann die notwendige politische Diskussion darüber geführt werden, in wie weit der mit einer solchen Datenanalyse verbundene Ausbau der Überwachung notwendig und angemessen erscheint.
Darüber hinaus besteht die grosse Gefahr, dass mit einer einfach zugänglichen Datenanalyse von Überwachungsdaten, einschliesslich der Daten aus rückwirkenden Teilnehmeridentifikationen, rückwirkenden Antennensuchläufen etc. die Rechte der davon betroffenen Personen auf Akteneinsicht und auf Datenauskunft verletzt werden. Dieses Problem besteht bereits jetzt, indem die den Strafverfolgungsbehörden ausgelieferten Überwachungsdaten regelmässig nur bruchstückweise in die Verfahrensakten integriert und so den betroffenen Personen zugänglich gemacht werden. Mit einem leicht zugänglichen Datenanalysetool wird sich dies akzentuieren.