Die Plattform «Justitia.Swiss» soll beschafft und bereits in zwei Jahren in Betrieb genommen werden. Erst danach soll – nach Schaffung vollendeter Tatsachen – eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Damit droht nicht nur ein weiteres IT-Debakel, sondern es wird auch der demokratische und rechtsstaatliche Prozess unterminiert. Gegen die Ausschreibung ohne gesetzliche Grundlage hat die Digitale Gesellschaft daher zusammen mit einem betroffenen IT-Unternehmen Beschwerde erhoben.
Die geplante Plattform «Justitia.Swiss» soll den Informationsaustausch zwischen allen an Justizverfahren beteiligten Stellen digitalisieren und vereinfachen. Im Frühling 2021 fand eine Vernehmlassung für das entsprechende Bundesgesetz statt. Die Digitale Gesellschaft kritisierte in einer ausführlichen Stellungnahme sowohl die unklaren Ziele als auch die geplante Umsetzung. So sind etwa keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und keine freie Open-Source-Lizenz vorgesehen. Auch fehlt es an der Mindestanforderung einer sicheren und vertraulichen Kommunikation sowie an einer Langzeitarchivierung und Veröffentlichung von Urteilen.
Im Anschluss an das Vernehmlassungsverfahren wird der Bundesrat einen Gesetzesentwurf ausarbeiten lassen und dem Parlament unterbreiten. In welcher Form das Gesetz verabschiedet wird, ist aktuell noch völlig offen. Das Gesetz soll frühestens 2025/2026 in Kraft treten. Dies hindert die Verantwortlichen des Projekts «Justitia 4.0» jedoch nicht daran, die Plattform bereits auszuschreiben (Archiv). Gemäss Pflichtenheft (zip) sollen bereits in zwei Jahren 200’000 Akten im System gespeichert sein – und dies ohne gesetzliche Grundlage.
Mit diesem Vorgehen wird der demokratische und rechtsstaatliche Prozess auf den Kopf gestellt: Anstatt zuerst das Gesetz zu beraten und zu verabschieden, wird bereits die Plattform mit detaillierten Anforderungen beschafft und in Betrieb genommen. Die Tatsachen, die damit geschaffen werden, müssen entweder vom Gesetzgeber übernommen, oder es müsste unter grossen Kostenfolgen die eben eingeführte Plattform «Justitia.Swiss» grundlegend überarbeitet werden. Im schlimmsten Fall droht ein weiteres Millionengrab bei einem IT-Projekt.
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Das Dilemma, in das sich die Projektverantwortlichen mit der Ausschreibung begeben haben, zeigt sich bereits an der Beschaffungsstelle. Diese wird in der Ausschreibung mit «Projekt Justitia 4.0» benannt – mit Hinweis auf eine zukünftige «Überführung des Projekts in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft». Die Projektverantwortlichen blicken sozusagen in die Zukunft und leiten aus der möglicherweise in einigen Jahren bestehenden gesetzlichen Grundlage eine Art Vorwirkung ab.
Bereits in unserer Stellungnahme kritisierten wir dieses (damals schon absehbare) unzulässige Vorgehen gemeinsam mit anderen Organisationen. Das dreiste Vorgehen unterminiert nicht nur den ergebnisoffenen Gesetzgebungsprozess, sondern beschneidet auch die politischen Rechte der Stimmbürger:innen. In unserem demokratischen Rechtsstaat haben die Stimmbürger:innen das Recht, bei Bedarf an der Urne frei zu entscheiden, ob ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz für eine Plattform für die elektronische Kommunikation in der Justiz in Kraft tritt oder nicht.
Um weiteres Unheil zu verhindern, den ordentlichen rechtsstaatlichen Prozess wieder herzustellen und eine demokratische Debatte zu ermöglichen, haben wir zusammen mit einem betroffenen IT-Unternehmen am Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen die Ausschreibung erhoben und insbesondere die aufschiebende Wirkung verlangt.
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