Deep Technology Podcast

«Noch kostet ein Kilogramm Schokolade aus dem Bioreaktor mehrere hundert Franken»

In der vierten Folge der aktuellen Staffel des Deep Technology Podcasts ist Food Architect Tilo Hühn zu Gast. Er ist Leiter des Zentrums für Lebensmittelkomposition und Lebensmittelprozessdesign an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). In der Folge spricht er mit Manuel Stagars über den Einfluss von Technologie auf den Preis, die Qualität und die Herstellung von Lebensmitteln.

Preisdruck

Tilo Hühn sieht zum Beginn des Podcasts die Produktion von Lebensmitteln innerhalb der Wertschöpfungskette in einer Abwärtsspirale, da der bereits länger anhaltende Preisdruck auf den verschiedenen Handelsstufen sich letztlich auf die Primärproduktion niederschlage. Dies führe dazu, dass immer mehr unnötige Zusatzstoffe verwendet und die ökologischen Systeme ausgebeutet werden. Die Bodengesundheit sei durch die starke Beanspruchung und die intensive, monokolturelle Bewirtschaftung sowie den Einsatz von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden ein ernstes Problem. Es brauche daher dringend ein neues Bewusstsein für Lebensmittel und deren Produktion. Dabei sollte an altes Wissen, wie beispielsweise zur Mehrfeldwirtschaft, angeknüpft werden.

Trends in der Lebensmittelherstellung

Nachhaltigkeit und Substitution von tierischen Produkten seien derzeit grosse Trends in der Lebensmittelkomposition. Viele pflanzenbasierte Lebensmittel, die teilweise hoch verarbeitet oder gentechnisch verändert seien, werden als Ersatz für Fleischprodukte hergestellt. Es gebe sogar genmanipulierte Fleischersatzprodukte, die Hämoglobin enthalten und wie Fleisch schmecken würden. Vieles davon stamme aus dem Silicon Valley, aus Israel, aber auch aus der Schweiz.

Andere Formen der modernen Lebensmittelproduktion kommen ohne diese Techniken aus. So können Lebensmittel auch in einem Tank wachsen. Solche Zellkulturtechnik – «Cellular Agriculture» – funktioniert beispielsweise mit Wein oder auch mit Schokolade. Nach ca. 28 Tagen könne man eine Zelle ernten und daraus Produkte herstellen. Dies berge viele Vorteile. Anstatt ein oder zweimal pro Jahr wird hierdurch eine kontinuierliche Produktion möglich. Die Zellen selbst sind natürlich und werden durch Kultivierung in einem Bioreaktor vermehrt. Es brauche keine Transporte, keine Pflanzenschutzmittel. Diese Art der Produktion sei nicht zuletzt frei von Kinderarbeit.

Deep Technology Podcast

Der technologische Fortschritt wirft Fragen auf: Wie steht es um die Zukunft der Arbeit, Datensicherheit oder das Recht auf Privatsphäre? Diktieren Technologien eine neue Realität oder haben wir die Zukunft noch in der Hand? Im Deep Technology Podcast (RSS) diskutieren Menschen in der Schweiz neue Technologien, ihre Hoffnungen, Sorgen und Ängste. Ab dem September 2021 erscheint die zweite Staffel, produziert von Filmregisseur, Autor und Podcaster Manuel Stagars.

Noch würde ein Kilo Schokolade aus dem Bioreaktor allerdings mehrere hundert Franken kosten. Die Kosteneffizienz würde sich in Zukunft jedoch stark verbessern. Nach Tilo Hühns Vorstellung werde dann in sogenannten Kultureien produziert. Wie in einer Brauerei würden in deren Tanks jedoch Zellkulturen für Lebensmittel wachsen.

Der Vorteil dieser Technologisierung liege nicht in der Massenproduktion und der Standardisierung. Vielmehr könne der Lebensmittelherstellungprozess dadurch genau so eingerichtet werden, dass das Endprodukt immer identisch ist und genau den Vorstellungen eines Konsument:innen-Segments entspricht. Zudem könne mit Sensortechnik und moderner Automation neue Rohstoffe kombiniert und dank genauerer Produktion Food Waste vermindert werden. Wir sollten Lebensmittelrohstoffe zudem immer zu Lebensmitteln verarbeiten, die von Menschen konsumiert werden können.

Automatisierung und Digitalisierung seien sehr wichtig für ein nachhaltiges Nahrungssystem. Beispiele sind Drohnen, die quadratzentimetergenau Felder dokumentieren, selbstfahrende Schlepper oder Roboter, die mechanisch Unkraut entfernen. In der Lebensmittelherstellung und der Landwirtschaft dürften wir vor einer Revolution stehen, dabei sei aber noch nicht absehbar, wohin sie uns führt. Ein weiterer Aspekt, der im Podcast leider nicht angesprochen wurde, ist die vertikale Landwirtschaft.

Schattenseiten

Digitalisierung birgt auch Gefahren, weil Konsument:innen geschickt manipuliert werden können. Wir müssten als Gesellschaft ethisch und verantwortlich mit Daten umgehen. Auch wenn mit einem Datensatz kein Name und keine Adresse verknüpft ist, steckt dahinter ein Mensch. Auch die Schweiz müsse daher ihre Verantwortung wahrnehmen, so dass alle Datenschutz für sich in Anspruch nehmen können. Leider blieb der nähere Zusammenhang zwischen landwirtschaftlichen Daten und Datenschutz im Podcast unbeleuchtet.

Selber Denken mache schlau. Dabei müsse man sich aber auch über seinen eigenen Bias bewusst sein. Wir müssten zudem die Gesellschaft zusammenhalten und uns über die Herausforderungen der Zeit verständigen.