In der heute veröffentlichten Deep Technology Podcastfolge spricht Manuel Stagars mit der Klimaaktivistin Michelle Reichelt über Technologie und Klima. Sie liefert eine breite Palette Kritikpunkte an Digitalisierungstendenzen, Kapitalismus und Politik im Bezug auf Demokratie und das Klima.
Begeistert von der «Motivation der Leute und des Glaubens an eine bessere Welt» im Klimastreik schloss Michelle Reichelt sich der Bewegung an und engagiert sich seither vielfältig. So stellte sie das Care Team des Klimastreiks auf die Beine, hilft bei Demonstrationen mit, kümmert sich um administrative Arbeiten und beantwortet Fragen, beispielsweise für Medien.
Digitalisierung, Demokratie und Klima
In der Digitalisierung sieht sie viel Potential. Etwa kann sich das Klimastreik-Kollektiv online als globales Netzwerk weltweit verknüpfen und ist nicht nur auf ein Land beschränkt. Gleichzeitig entwickeln sich Technologien schneller, als sie demokratisch eingeordnet werden können. Dies wird beispielsweise durch die Demokratiegefährdung via Facebook veranschaulicht.
Zusätzlich erwähnt sie die nicht direkt spürbare Schattenseiten, wie etwa Umweltschäden, welche die Digitalisierung indirekt verursacht. Etwa in Folge des gigantischen Stromhungers der Rechenzentren, welche dem Betrieb von Social-Media- und Streaming-Apps dienen. Hier kann auch an die späteren Bemerkungen zu Technologien generell angeknüpft werden. So prangert sie beispielsweise eine geplante Obsoleszenz elektronischer Geräte oder schlicht die Tatsache an, dass erste Versionen einer neuen Technologie oft noch fehlerhaft sind und daher nicht empfohlen werden können. Reichelt wünscht sich eine Welt, in der von Anfang an ein durchdachtes Produkt auf den Markt gebracht wird, dessen Lebenszeit von Konsument:innen auch ganz ausgeschöpft wird.
Deep Technology Podcast
Der technologische Fortschritt wirft Fragen auf: Wie steht es um die Zukunft der Arbeit, Datensicherheit oder das Recht auf Privatsphäre? Diktieren Technologien eine neue Realität oder haben wir die Zukunft noch in der Hand? Im Deep Technology Podcast (RSS) diskutieren Menschen in der Schweiz neue Technologien, ihre Hoffnungen, Sorgen und Ängste. Ab dem September 2021 erscheint die zweite Staffel, produziert von Filmregisseur, Autor und Podcaster Manuel Stagars.
Technologie zur Lösung der Klimakrise?
Michelle Reichelt glaubte einst an die verlockenden Versprechungen technologischer Innovationen, wie etwa mittels High-Tech-Geräten wie jenen des Schweizer ETH-Spin-Offs Climeworks CO2 aus der Luft zu pumpen und im Boden zu vergraben. Jedoch kam sie zum Schluss, dass dies die Klimaprobleme nur verschiebt, statt zu lösen. Die Vorstellung, dass künstliche Intelligenzen für uns Lösungen finden könnte, verwirft sie ebenso. Sie ist nämlich überzeugt, dass wir nicht bereit wären, auf eine Maschine zu hören, da selbst wissenschaftliche Daten [bezogen auf Klimaforschung] angezweifelt werden. So kommt sie zum Schluss, «die Wurzel des Problems ist unser kapitalistisches Wirtschaftssystem».
Kapitalismus verspreche uns endloses Wachstum, verlange eine ständige Effizienzoptimierung und verheisse uns Glück durch Konsum. Dies führe zu einer Serie anderer Probleme. Zum Beispiel sei es aus Perspektive des Klimaschutzes klar, dass Autofahren und Fliegen stark reduziert werden müssen. Menschen seien aber teilweise gezwungen, viel Auto zu fahren, da sie auf dem Land wohnen – nicht zuletzt, weil die Stadt zu teuer ist – aber nur in der Stadt Arbeit fänden. Gleichzeitig seien die Menschen unter den Bedingungen des Kapitalismus unersättlich: Wir sollen mehr arbeiten, um uns noch mehr und bessere Produkte und Statussymbole kaufen zu können. Dadurch sollen wir Glück erfahren. «Niemand setzt eine Grenze, wann es mit dem Geld genug ist.»
Appell an Politik und Gesellschaft
Sie findet es schwierig, nur der Politik die Verantwortung für die Klimakrise zuzuschieben. Es sei aber essentiell, dass jede:r darüber nachdenkt, wie er oder sie leben will und wie unser Lebensstil das Klima beeinflusst. Daher appelliert sie auch an die Eigenverantwortung und ein erhöhtes Umweltbewusstsein.
Damit Veränderungen wirklich stattfinden und Machtverhältnisse kippen, braucht es jede:n Einzelne:n. Seinen Teil beitragen könne man etwa mittels einer Reduktion des Erwerbsarbeitspensums, um die frei werdenden Kapazitäten zu nutzen, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Parallel dazu, muss aber auch die Politik ihren Teil beisteuern. Die Haltung, dass Politik mehrheitsfähig sein muss, und dass «man zusammen nach Feierabend noch ein Bierli trinken gehen kann», findet sie problematisch. Insbesondere weil dadurch bei den einfachsten Kompromissen Politiker:innen ihre eigenen Werte verraten. Schliesslich werden Politiker:innen doch eigentlich dafür bezahlt, dass sie Politik machen [die der Mehrheit zu Gute kommt] und nicht, um Feierabendbiere zu ermöglichen.
Am Ende zieht sie den Schluss, dass es uns an Zeit fehle. Zeit, um erlebte Traumas wie den zweiten Weltkrieg als Gesellschaft aufzuarbeiten. Zeit, die wir mit Freund:innen und Familie teilen könnten, um tiefgründigere Beziehungen zu pflegen und uns um unser Wohl zu kümmern. Michelle Reichelt glaubt daran, dass «wenn wir uns füreinander mehr Zeit nehmen, wir auch gar keine Zeit mehr haben, die Erde kaputtzumachen und auszubeuten».