Der Einsatz von Gesichtserkennungssystemen breitet sich derzeit in Europa rasant aus. Gesetzliche Schranken gegen die Überwachung mittels Gesichtserkennung fehlen. Ein Bündnis aus Amnesty International, AlgorithmWatch CH und der Digitalen Gesellschaft fordert daher ein Verbot von automatischer Gesichtserkennung und biometrischer Massenüberwachung in der Schweiz. Gemeinsam lancieren die Organisationen eine Petition für ein solches Verbot und unterstützen damit Vorstösse in den Städten Zürich und Lausanne.
Biometrische Erkennungssysteme eröffnen Behörden und Privaten die Möglichkeit, den öffentlichen Raum rund um die Uhr vollautomatisch zu überwachen. Untersuchungen zeigen, dass sich der Einsatz von Gesichtserkennungssystemen derzeit in Europa rasant ausbreitet. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass bald auch bei uns gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die den breiten Einsatz dieser Technologien erlauben – oder dass diese ohne ausreichende gesetzliche Grundlage zunehmend eingesetzt werden.
Obwohl biometrische Daten zu den besonders schützenswerten Personendaten gehören, gibt es kein explizites Verbot gegen die Verwendung von Gesichtserkennungssystemen in der Schweiz. Neue Recherchen zeigen, wie Schweizer Polizeibehörden bereits heute umstrittene Gesichtserkennungssoftware verwenden. Obwohl unklar bleibt, ob die gesetzliche Grundlage dafür jeweils vorhanden oder ausreichend ist, werden diese Systeme bereits heute eingesetzt. Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft, sagt: «Das ist ein besorgniserregender Schritt zu einer flächendeckenden und permanenten Massenüberwachung, bei der nicht nur Schwerverbrecher:innen ins Visier geraten, sondern die gesamte Bevölkerung.»
Die grösste Gefahr droht durch eine Kombination von Videoüberwachung und Gesichtserkennung. Immer mehr Länder setzen Gesichtserkennungstechnologie zur Überwachung des öffentlichen Raums ein – vor allem mit dem Argument, die nationale Sicherheit zu schützen. Verdächtige sollen rasch identifiziert und überwacht werden. Die massive Verletzung der Grundrechte der gesamten Bevölkerung wird ignoriert. Auch wirken Gesichtserkennungstechnologien oft diskriminierend, da sie tendenziell nicht-weisse und nicht-männliche Gesichter weniger gut erkennen.
Dabei steht fest: Massenüberwachung ist auf keinen Fall mit unseren Grundrechten vereinbar. Angela Müller, Senior Policy & Advocacy Managerin bei AlgorithmWatch CH, sagt: «Wenn wir im öffentlichen Raum mittels Gesichtserkennungssystemen jederzeit identifiziert oder verfolgt werden können, verletzt dies die Privatsphäre und schreckt Menschen davon ab, an Demonstrationen teilzunehmen oder ihre Meinung offen zu äussern». Die Rechte auf Meinungs- oder Versammlungsfreiheit sind für das Funktionieren der demokratischen Gesellschaft der Schweiz jedoch von zentraler Bedeutung und dürfen nicht untergraben werden.
Petition und Vorstösse für ein Verbot in Städten
«Die Massenüberwachung muss verhindert werden, damit die Wahrung der Grundrechte auch weiterhin garantiert werden kann», sagt Lukas Hafner, Experte für Technologie und Menschenrechte bei Amnesty International. Amnesty International, AlgorithmWatch CH und die Digitale Gesellschaft lancieren daher eine Petition, die ein Verbot der automatischen Gesichtserkennung und anderer biometrischer Überwachungssysteme im öffentlichen Raum fordern. Auch mehrere politische Akteure setzen sich für ein Verbot ein und haben entsprechende Vorstösse in Zürich und Lausanne eingereicht. Diese Vorstösse (durch Luca Maggi und Benoît Gaillard) verdeutlichen, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Zeitgleich lancieren die drei zivilgesellschaftlichen Organisationen die Kampagne gesichtserkennung-stoppen.ch, die auf die Gefahren der neuen Technologien aufmerksam macht.
Weiterführende Informationen
- Website und Petition: gesichtserkennung-stoppen.ch
- Zürich: Postulat «Biometische Überwachung» und Motion «Revision DSV»
- Lausanne: Postulat «Reconnaissance faciale», Règlement «Video» und «Police»