Dossier «Tracking & Profiling»

Die Zukunft des digitalen Panoptikums

Themenlogo Tracking and Profiling

Die Advertising-Technologie-Branche (kurz AdTech) befindet sich im Umbruch. Die üblichen Player der Branche stehen unter Zugzwang und versuchen die Situation zu lösen, ohne dabei ihr lukratives Geschäftsmodell aufgeben zu müssen. Dieser Beitrag beschreibt die aktuell bevorstehenden oder bereits eingesetzten Veränderungen und die möglichen Reaktionen der AdTech-Branche darauf. Wir wagen einen breiten Blick in die Glaskugel, auf das Panoptikum der Zukunft.

Einleitung

In den vergangenen Posts wurde klar, dass viele der düsteren Überwachungsszenarien, die damals in dem einflussreichen Roman «1984» von George Orwell beschrieben wurden, bereits Teil unseres Alltags sind. Jedoch sind sie bei uns weniger offensichtlich, sondern als attraktiv verpackte Produkte reingewaschen, oft unsichtbar und somit breit durch die Gesellschaft hindurch akzeptiert.

Für jede:n, der oder die das Buch noch nicht gelesen hat: In dem Roman beobachten sogenannte «Telescreens» grosse Bereiche des öffentlichen und privaten Lebensraums, Mikrofone sind auf dem Land zwischen Pflanzen versteckt, die «Thought Police» kann Gedanken lesen und verfolgt selbst noch nicht ausgeführte Handlungen bzw. bestraft den geltenden Regeln nach «falsches Denken» ganz grundsätzlich. Auch wenn wir im Alltag die uns ausspähenden Technologien nicht als solche wahrnehmen, sind sie dennoch den eben Beschriebenen zum Verwechseln ähnlich und sollten als solche unbedingt betrachtet werden.

Diese Technologien bilden im Buch die Basis eines dystopischen Polizeistaates, der auf totale Überwachung angewiesen ist, um seine Existenz zu bewahren, der sich durch skrupelloses Vorgehen gegen Aussenseiter:innen und Dissidenten auszeichnet und der aktuell zum Glück mit demokratischen Staaten (noch) schwer verglichen werden kann.

Aktuell befindet sich die AdTech-Branche (kurz für Advertising Technology) im Umbruch. Von verschiedenen Seiten aus drängende Veränderungen setzen die üblichen Player der Branche unter Zugzwang. Diese versuchen die Situation möglichst so hinter sich zu bringen, dass sie ihr lukratives Geschäftsmodell nicht aufgeben müssen.

Dieser Beitrag schliesst das aktuelle Unterthema «Tracking» unserer Artikelreihe damit ab, die aktuell bevorstehenden oder bereits eingesetzten Veränderungen zu beleuchten sowie die möglichen Reaktionen der AdTech-Branche darauf zu beschreiben und bietet somit einen breiten Blick in die Glaskugel des Panoptikums der Zukunft.

Die aktuellen Veränderungen

Immer mehr User stören sich an der orwellianischen Gegenwart und wehren sich, entweder indem sie auf offiziellem Wege gegen die gängige Praxis klagen (wie zum Beispiel der österreichische Aktivist Max Schrems mit dem EuGH-Urteil Schrems II bewirkt hat), oder mit technischen Hilfsmitteln wie Adblockern und anderen Werkzeugen. Reuben Binns, Associate Professor an der Universität Oxford, hat dieses Jahr in seinem Paper «Tracking on the Web, Mobile and the Internet-of-Things» weitere mögliche Entwicklungsszenarien für den Überwachungskapitalismus präsentiert:

AdTech-Markt-Crash

Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass die Dynamik des AdTech-Markts toxisch ist. Es konnte bewiesen werden, dass der Nutzen von personalisierter gegenüber kontextueller Werbung begrenzt ist (ca. 4 % Mehreinnahmen), ausserdem ist der Markt hoch intransparent. Mit seinen vielen Mittelmännern zwischen User und Webseiten-Provider besteht ein hohes Ungleichgewicht bei der Gewinnverteilung (Webseiten-Provider erhalten nur ca. 51 % des Erlöses aus einem verkauften Werbeplatz). Gleichzeitig kommt diese bereits negative und unfaire Marktdynamik unter Druck. Zum Beispiel dadurch, dass immer mehr personalisierte Werbung mithilfe von Privacy-Tools (Webbrowser, Add-ons etc.) geblockt wird oder durch das hohe Mass an unauthentischem Webverkehr (z. B. durch Bots, die Userverhalten vortäuschen können).

Kommt es zu einem Vertrauensverlust und wird hinterfragt, wie hoch der Wert wirklich ist, der die AdTech-Branche erbringt, könnte dies zu einem Crash des gesamten Marktes führen. Wer sich in Anbetracht dessen schon mit Freude die Hände reibt, sollte sich nicht zu früh freuen. Ein solcher AdTech-Crash könnte unschöne Folgen für die breite Gesellschaft haben, denn wenn Kunden abziehen und Investoren, ihre Rendite fordernd, darauf drängen, dass die aufgebaute Technologie in profitableren Sektoren eingesetzt wird, könnte die etablierte Infrastruktur und die dadurch bereits gesammelten Daten auf andere, zahlungswillige Kunden treffen (z. B. in der Rüstungs- oder Überwachungsindustrie).

Datenschutz und Recht auf Privatsphäre

Seit den 1970ern wird schon über Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre diskutiert, bis zur 2018 in der EU in Kraft getretenen DSGVO wurden jedoch kaum Fortschritte erreicht. Seitdem scheint jedoch ein Trend ersichtlich. Mit dem 2020 in Kraft getretenen California Consumer Act wurde sogar in einem US-Bundesstaat ein erstaunlich strenges Gesetz verabschiedet – notabene in jenem Staat, welchen die Tech-Branche ihr Zuhause nennt. Ein Gesetz auf Landesebene fehlt hingegen noch immer.

Überraschenderweise hat sogar China 2021 mit seinem «Personal Information Protection Law» ein Gesetz verabschiedet, welches grossen Einfluss auf das Online-Tracking von chinesischen wie auch ausländischen Firmen haben könnte. Wie sich dies entwickelt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls scheint die Zivilbevölkerung in den letzten Jahren Rechte zugesprochen bekommen zu haben, von denen sie lange nicht gewusst hat, dass sie sie braucht. Auf Gesetzeswegen kann direkt in das Geschehen eingegriffen und eine ganze Branche sinnvoll in die Schranken gewiesen werden. Es bleibt abzuwarten, wie sie – vor allem die neueren Gesetze – in der Realität angewendet werden.

Wettbewerbs- und Kartellrecht

Die Fähigkeit, Menschen zu tracken und aussagekräftige Profile über sie zu erstellen, ist einigen wenigen grossen Spielern des Marktes vorbehalten. Ausserdem werden sie durch den Zukauf und die Integration anderer Firmen immer grösser. Google/Alphabet, Facebook/Meta und Amazon haben alle in den vergangenen Jahren kräftig durch Zukäufe zugelegt. Sowohl in der Vergangenheit als auch aktuell werden oder wurden Wettbewerbs- und Kartellrechtsverfahren gegen diese Firmen geführt. Es wird daher in Zukunft auch darum gehen, Möglichkeiten zu finden, Monopole effektiver zu verhindern. Zum Beispiel könnten Firmen gezwungen werden, ihre Tracking-Daten sozusagen als «öffentliches Gut» mit anderen Konkurrenten über öffentliche Protokolle zu teilen. Dies würde einen ausgewogeneren Wettbewerb begünstigen und dagegenwirken, dass eine Entität (wie der allwissende «Big Brother» im Buch von Orwell) sich als allmächtig etabliert und Transparenz über die Funktionsweisen des Marktes bieten.

Ebenfalls könnten Firmen dazu gedrängt werden, ihre Tracking-Infrastruktur vollkommen vom Mutterkonzern zu trennen, wodurch die entstandenen kleineren Firmen dann effektiver reguliert werden könnten und etwas autonomer, ohne die komplett hürdenfreie Einwirkung des Konzerns handeln könnten.

Eine andere Idee wäre, Services, die sich mehrheitlich auf der Seite des Users befinden (z. B. im Webbrowser) besonders streng zu regeln. Der Webbrowser agiert im Internet als Vertreter des Users und dessen Interessen, nicht andersrum. Er sollte weitgehend frei von Fremdeinwirkungen sein und nicht für uns intransparente, unserer Privatsphäre schadende Funktionen enthalten.

Neue Tracking-Technologien

Während die oben genannten Veränderungen ihren Lauf nehmen, werden kontinuierlich bereits bekannte Überwachungstechnologien verbessert bzw. neu entwickelt. Es werden insbesondere neue Konzepte erarbeitet, die es erlauben, das aktuelle Geschäftsmodell mehr oder weniger so weiterzuführen wie bisher.

Die Schnittstelle in die physische, also «echte» Welt wird immer wichtiger. Firmen und Staaten begnügen sich nicht mehr nur damit, zu wissen, was die Vorlieben und Verhaltensmuster von Menschen grundsätzlich sind, sondern folgen dem allgemeinen Trend der Personalisierung und möchten hierfür wissen was du willst. Dafür müssen vermehrt Technologien eingesetzt werden, die noch stärker in die Privatsphäre eingreifen und oft Aspekte und Muster erkennen, die die Zielperson oft nicht einmal über sich selber weiss. Nachfolgend werden einige interessante Kategorien und Konzepte vorgestellt, die aktuell im Rampenlicht stehen. (Andere wurden schon erklärt oder werden mit der Absicht, diesen Artikel bündig zu halten, nicht angeschnitten.)

«Privacy-Preserving»-Tracking & Beyond Cookie

2020 hat Google bekanntgegeben, dass ihr hauseigener Webbrowser «Chrome» bis Anfang 2022 keine sog. «third-party cookies» mehr zulassen wird. Obwohl dieser Zeitplan offensichtlich nicht eingehalten wurde, ist diese Form der domänenübergreifenden Nutzerverfolgung dem Untergang geweiht. Und nicht nur das, sondern allgemein sollen unter dem Begriff «Privacy-Preserving»-Tracking Cookies bald abgelöst werden. Es wird versucht, den aktuellen Trends etwas entgegenzuwirken, der Gesellschaft einige Rechte in Sachen Privatsphäre und Datenschutz zuzugestehen, ohne das System jedoch allzu radikal zu verändern. Denn obwohl das Konzept einen vielversprechenden Namen trägt, hält es längst nicht die Versprechen, die es in Sachen Datenschutz und Privatsphäre macht.

Durch sogenannte «Federated Learning of Cohorts», kurz «FLOC» hatte Google bis vor Kurzem (die Initiative wurde nach zu viel Gegenwind wegen mangelnder Privatsphäre wieder aufgegeben) einen ersten Schritt in Richtung einer «Post-Cookie»-Welt gemacht. Bei FLOC werden mehrere tausend User auf Basis ihres Browserverlaufs in sogenannte «Cohorts» (d. h. Gruppen) gesteckt, welche dann mit den Webseitenbetreibern geteilt werden.

Bei einem zweiten Versuch von Google wird ein System basierend auf sogenannten «Topics» vorgeschlagen. Dabei werden User nicht mehr in Kategorien gesteckt, sondern es werden ihnen auf Basis ihres Browserverlaufs Themen zugewiesen, die dann mit den Webseitenbetreibern geteilt werden. Die personalisierte Werbung wird in beiden Fällen entweder auf Basis von den eben vorgestellten «Cohorts» oder «Topics» präsentiert. 

Obwohl Topics weitaus besser sein sollen als FLOC (z. B. soll die Anzahl Topics relativ klein sein, damit keine zu spezifischen Profile erstellt werden können und sensible Topics, wie z. B. Gender und und Ethnie sollen ganz wegfallen), bestehen trotzdem zahlreiche Bedenken. Zum Beispiel können Informationen, die durch «Privacy-Preserving»-Tracking gesammelt wurden, noch immer mit anderen Daten, wie z. B. einem Browser-Fingerprint, kombiniert werden.

Da Google einen grossen Anteil des Webbrowser-Markts beherrscht, wird die Firma vermutlich auch Standards setzen. Es wird jedoch befürchtet, dass die «alten» Tracking-Systeme nie wirklich abgelöst werden, sondern einfach parallel zu den neuen weiterlaufen. Verändert hätte sich dann eher wenig. Allgemein scheint das Problem eher in der Art zu liegen, wie der Diskurs geführt wird. Uns wird das Thema fälschlicherweise so präsentiert, als ob wir uns zwischen einer Version der personalisierten Werbung und der damit verbundenen Überwachung und einer anderen entscheiden müssten.

Behavioral Tracking

Dadurch, dass die alten Technologien wie Cookies geblockt werden können und oft nur in Kombination mit anderen Kennzeichen eine Person mit relativer Sicherheit identifizieren können, kommen immer mehr Technologien zum Einsatz, die auf eindeutigen Verhaltensmustern von Menschen basieren. Darunter zählen Techniken, mit denen Personen und deren Absichten anhand ihrer Tastaturschläge, ihrem Gang oder sogar mit der Art der Nutzung der Computer-Maus identifiziert werden können. Das Problem mit solchen Technologien ist – genauso wie mit allen Technologien, die auf biometrischen Informationen basieren – dass Menschen ihr Verhalten oft nicht einfach so ändern können und anhand dieser Daten auch in Zukunft immer identifiziert werden können.

Internet of Things (IoT) & Cloud

Durch die Trends der «Smart Devices» und vor allem durch das «Smart Home» (z. B. Kühlschränke, Staubsauger und Glühbirnen, die mithilfe von Daten über ihre Benutzer und deren Umfeld einen besseren Service liefern sollen), laden wir Mikrofone, Kameras und andere Sensoren oft freiwillig in unsere intimsten Räume ein und bezahlen dafür den hohen Preis, möglicherweise ausspioniert zu werden. Das ist besonders brisant, da durch sogenanntes «passive real-world tracking» Tätigkeiten in der analogen Welt aufgezeichnet werden und diese mit einem Profil über Verhaltensmuster in der digitalen Welt kombiniert werden können. Eine interessante Geschichte aus den USA hat dies gezeigt. Dort wurden Passanten und Anwohner durch in Wahlplakaten der Trump-Kampagne versteckte Tracker überwacht.

Smart & Safe City

Die Konzepte Smart sowie Safe City entstanden aus dem Bedürfnis nach Lösungen für die Probleme heutiger Grossstädte. Basierend auf der Verwendung bereits angesprochener Technologien (besonders IoT) und unter dem Banner populärer Themen (z. B. Terrorbekämpfung, Mobilität, Migration etc.) werden grossflächig Systeme der Massenüberwachung ausprobiert oder gar fest installiert. Die markantesten Beispiele in Europa dazu bilden zwei französische Städte: Nizza, wo seit dem Terroranschlag 2016 massiv in Überwachung investiert wird und Saint-Etienne, wo 2019 während sechs Monaten die 7000 Bewohner eines «Problemviertels» mittels rundum installierter Mikrofone ausspioniert wurden.

Die Lösung wird politischer Natur sein

Auf viele unserer grundlegendsten Bedürfnisse scheint es heutzutage eine auf digitaler Massenüberwachung basierende Lösung zu geben. Der Grossteil der frei verfügbaren Dienste im Internet wird durch Werbeeinnahmen finanziert und der Deal mit «Big Tech» schien bis vor Kurzem hochattraktiv. Hinzu kommt, dass die ganze Thematik technisch äusserst komplex, der Markt intransparent und voller dubioser Mittelsmänner ist und sowohl Tracking-Technologien wie auch deren Gegenmassnahmen immer weiterentwickelt werden.

Der Mensch baut, was er bauen kann. Es werden nicht die grossen Firmen und deren Ingenieure sein, die sich selber in ihren Überwachungsfähigkeiten beschränken. Die Privatsphäre ist ein Menschenrecht und muss im Zusammenspiel von aufgeklärter Zivilbevölkerung, politischem Diskurs, juristischer Sicherung und technischer Implementierung als solches gesichert werden.