Politik ist gefordert

Keine Transparenz bei den Zwangsmassnahmengerichten

Das Obergericht des Kantons Zürich lehnt das Gesuch der Digitalen Gesellschaft um Einsicht in Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts ab. Damit bestätigt sich einmal mehr die bekannte Problematik der fehlenden Transparenz bei den Zwangsmassnahmengerichten. Nun ist die Politik gefordert, für Transparenz bei den Zwangsmassnahmengerichten zu sorgen.

Weit über 90% aller Anträge der Staatsanwaltschaften werden vom Zwangsmassnahmengericht gutgeheissen. Gleichzeitig sind die Verfahren des Zwangsmassnahmengerichts nicht öffentlich (Art. 69 Abs. 3 lit. b StPO) und selbst die Entscheide werden nicht veröffentlicht. Damit agiert das Zwangsmassnahmengericht im Geheimen und ohne Kontrolle. Und das, obwohl die Entscheide mit schweren Eingriffen in die Grundrechte verbunden sind und die Betroffenen oft stärker treffen können als das eigentliche Urteil. Die fehlende Transparenz am Zwangsmassnahmengericht ist ein bekanntes Problem.

Die Digitale Gesellschaft stellte deshalb am 16. Dezember 2021 gestützt auf das Prinzip der Justizöffentlichkeit (Art. 30 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 14 UNO-Pakt II und Art. 69 StPO) ein Gesuch um Einsicht in Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts des Obergerichts des Kantons Zürich gestellt:

  • Einsätze von IMSI-Catchern seit der Beschaffung durch die Kantonspolizei Zürich im Jahr 2013
  • Einsätze von Server-Überwachungen in den letzten zwölf Jahren
  • Einsätze von Überwachungssoftware, insbesondere (aber nicht nur) derjenige von 2007, die zwei im Winterhalbjahr 2013 / 2014 und derjenige im Juli 2015
  • Antennensuchläufe

Gleichzeitig haben wir das Zwangsmassnahmengericht darum gebeten, seine Praxis bezüglich der Nichtveröffentlichung der Urteile bzw. Entscheidungen zu überdenken und in Betracht zu ziehen, seine Urteile bzw. Entscheidungen künftig zeitgleich mit der Mitteilung an die betroffene Person zu veröffentlichen.

Mit dem Urteil vom 14. Oktober 2022 hat das Obergericht des Kantons Zürich das Gesuch abgelehnt. Es begründet sein Urteil damit, dass die Digitale Gesellschaft kein schutzwürdiges Interesse vorgebracht habe und der Herausgabe «wohl überwiegende öffentliche wie auch private Interessen entgegenstünden.» Zudem verweigert es das Gesuch, weil «die Bearbeitung des Gesuchs für das Gericht einen unzumutbaren Aufwand bedeuten würde.»

Worin «wohl» diese überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen liegen, wird im Urteil nicht begründet. Auch das Argument des Aufwands für das Zwangsmassnahmengericht ist fragwürdig. Wir haben auf die Praxis in anderen Kantonen verwiesen, welche teilweise bereits anonymisierte Zwangsmassnahmengerichtsentscheide publizieren. Wir haben dargelegt, dass allfälligen Gefährdungen einer laufenden Untersuchung ohne Weiteres begegnet werden kann, indem mit einer Publikation so lange wie nötig zugewartet wird und diese anonymisiert erfolgt. Das Obergericht scheint der Auffassung zu sein, dass der Publikation von Entscheiden auch bei einem solchen Vorgehen überwiegende Interessen entgegenstehen, liefert dafür aber keine auch nur im Ansatz verständliche Begründung. Insgesamt liefert das Urteil wenig Erhellendes zur Dunkelkammer der strafprozessualen Zwangsmassnahmen. 

Die Digitale Gesellschaft hat entschieden, das Urteil nicht weiterzuziehen. Die Rechtslage ist diffus, auch in Bezug auf die Frage, welche Interessen eine Person oder Organisation vorbringen müsste, um Anspruch auf Einsicht in Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts zu haben. Das Obergericht hat mit diesem Urteil jedenfalls deutlich gemacht, dass es nicht gewillt ist, die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, Transparenz zur Praxis des Zwangsmassnahmengerichts herzustellen. Nun ist es an den Medien und der Politik, sich diesem Thema anzunehmen und dafür zu sorgen, dass diese Dunkelkammer der Justiz endlich ausgeleuchtet wird.

Mit der Forderung nach mehr Transparenz und öffentlichen Entscheiden der Zwangsmassnahmengerichte steht die Digitale Gesellschaft nicht alleine. Die Problematik ist bekannt und wurde bereits vielfach von Medien, Professor:innen und der Politik aufgeworfen.

Die Republik hat zur Problematik der nicht öffentlichen Verfahren der Zwangsmassnahmengerichte mehrfach berichtet. SRF berichtet 2018, dass Zwangsmassnahmengerichte 97% aller Anträge von Staatsanwaltschaften auf Haft und geheime Überwachungen gutheissen und kritisiert die fehlende Transparenz. Prof. Urs Saxer kritisiert: «Die heutige Praxis der Zwangsmassnahmengerichte, ihre Urteile geheim zu halten, ist verfassungswidrig».

Auch humanrights.ch weist auf das Problem hin und schreibt, die Verweigerung der Zwangsmassnahmengerichte in die Einsicht ihrer Entscheide widerspricht dem Öffentlichkeitsprinzip und ist grundsätzlich bedenklich, da es sich häufig um schwerwiegende Grundrechtseingriffe handelt, weshalb gerade in diesem Bereich Transparenz und eine demokratische Überwachung der Urteile entscheidend sei.

Die Demokratischen Juristinnen und Juristen Zürich (DJZ) erkennen «schwere Missstände bei den Zwangsmassnahmengerichten» nachdem sie statistische Auswertungen bei den Bezirksgerichten angefragt haben.

Auch in der Politik ist das Problem bekannt. So fordert SP-Ständerat Claude Janiak: «Nach Abschluss des Strafverfahrens müssen Entscheide von Zwangsmassnahmengerichten öffentlich sein».

Das Gesuch der Digitalen Gesellschaft um Einsicht in Entscheide des Zwangsmassnahmengericht reiht sich damit in eine Reihe von Kritik an der Intransparenz des Zwangsmassnahmengerichts und Versuchen, die Praxis des Zwangsmassnahmengerichts zu ändern. Mit dem abschlägigen Urteil des Obergerichts Zürich ist es nun an der Politik, für Transparenz am Zwangsmassnahmengericht und der Veröffentlichung seiner Entscheide zu sorgen. 

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