Das im letzten Jahr beschlossene Jugendschutzgesetz hat im Nachhinein für grosse Kontroversen gesorgt. Das Referendum ist jedoch leider nicht zustande gekommen. Auch eine Interpellation von Nationalrat Jörg Mäder hat nicht für mehr Klarheit gesorgt. Nun wurde der Vorentwurf für eine Verordnung zum Jugendschutzgesetz veröffentlicht. Wir haben eine Stellungnahme verfasst.
Jugendschutz ist ein wichtiges Thema und muss auch im Internet ernst genommen werden. Die Vielzahl an unterschiedlichen Diensten, der internationale Kontext und der Datenschutz stellen dabei schwierige Herausforderungen dar. Die Debatte in den Kommissionen und dem Parlament zur Motion 20.3374 von Nationalrat Nik Gugger veranschaulichte dies beispielhaft. Der Ständerat hat daher am 13. Juni 2023 eine Änderung beschlossen, so dass die Telekomanbieterinnen verpflichtet werden sollen, die Erziehungsberechtigten auf die technischen Möglichkeiten bei Endgeräten und Angeboten hinzuweisen sowie ihnen Tools und Apps anzubieten, mit denen Jugendliche wirksam vor pornografischen Inhalten geschützt werden können. Bereits heute ist zudem das Zugänglichmachen von pornografischen Inhalten an Personen unter 16 Jahren strafbar (Art 197 Abs. 1 StGB).
Die Digitale Gesellschaft war bereits zur Vernehmlassung zum Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele (JSFVG) nicht eingeladen. Mit Befremden haben wir zur Kenntnis genommen, dass nun wiederum keine einzige der Organisationen, die das Referendum gegen das Jugendschutzgesetz unterstützt haben, zur Vernehmlassung eingeladen wurde. Obwohl das Referendum nicht zustande kam, sind wir überzeugt, dass angesichts der offensichtlichen Mängel, die das Gesetz und die Verordnung aufweisen, die Ansichten aus der digitalen Zivilgesellschaft angehört werden müssen.
Räumlicher Geltungsbereich und Repräsentativität der Branchenorganisation (Art. 3 E-JSFVV)
In der Botschaft zum Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele vom 11. September 2020 schreibt der Bundesrat:
- «Abruf- und Plattformdienste mit Sitz in der Schweiz sollen in Anlehnung an die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste zu Alterskontrollsystemen und Systemen zur elterlichen Kontrolle beziehungsweise zur Meldung von für Minderjährige ungeeigneten Inhalten verpflichtet werden.» (In der Übersicht zum Inhalt der Vorlage auf Seite 3, resp. 8205)
- «Auch im Internetbereich ist die Regulierung angesichts der riesigen Menge an Inhalten und der internationalen Dimension sehr schwierig. Mit der Annäherung der Regulierung der Schweiz an die AVMD-Richtlinie wird zumindest im Filmbereich für Abruf- und Plattformdienste in Europa ein vergleichbares Schutzniveau erreicht. Dadurch kann vermieden werden, dass ausländische Anbieterinnen mit einem Wechsel des Firmensitzes in die Schweiz die neuen strengeren Vorschriften der EU umgehen. Im Rahmen der Vorarbeiten zum vorliegenden Entwurf wurde auch geprüft, ob die Regulierung von Websites mit ungeeigneten Inhalten (Bilder, Texte, Ton) für Kinder und Jugendliche in den Erlass aufgenommen werden soll. Dies hat sich hingegen angesichts der internationalen Dimension des Internets als nicht umsetzbar erwiesen. Aufgrund des Territorialitätsprinzips des schweizerischen Rechts wären entsprechende gesetzliche Bestimmungen kaum anwendbar oder durchsetzbar, da seitens Anbieterin kein aktives Zugänglichmachen oder Versenden von Inhalten in die Schweiz erfolgt.» (Seite 32, resp. 8234)
- «Dies bedeutet, dass Anbieterinnen von Abruf- und Plattformdiensten mit Sitz in der Schweiz vergleichbare gesetzliche Verpflichtungen haben sollen wie solche mit Sitz in der EU.» (Seite 50, resp. 8252)
Mit grossem Befremden haben wir dann die Antwort des Bundesrats auf die Interpellation 23.3077 von Nationalrat Jörg Mäder auf die Frage nach dem Geltungsbereich zur Kenntnis genommen:
- «Grundsätzlich erfasst das Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele (JSFVG; BBl 2022 2406) alle Akteurinnen und Akteure, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit Filme oder Videospiele zugänglich machen (z. B. öffentlich vorführen, verleihen oder verkaufen). In Bezug auf Abruf- und Plattformdienste gilt das JSFVG für alle Schweizer Dienste sowie ausländische Dienste, welche sich an Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten richten.»
Im erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens schreibt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) zudem:
- «Zu beachten ist, dass für die Bestimmung der Mehrzahl nur Akteurinnen mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz berücksichtigt werden. Es scheint nicht angebracht, dass ausländische Akteurinnen, welche in der Schweiz allenfalls über eine grosse Marktmacht verfügen, die Vorgaben für die in der Schweiz gültigen, verbindlich erklärten Jugendschutzregelung bestimmen.» (Seite 5)
Der Bundesrat verweist also in der Botschaft von 2020 mehrfach darauf, dass das Gesetz für «Abruf- und Plattformdienste mit Sitz in der Schweiz» gelten soll, während in seiner Antwort auf die Interpellation 23.3077 der räumliche Geltungsbereich über das Territorialitätsprinzip hinaus auch nach dem Auswirkungsprinzip gelten soll. Dieser Widerspruch und die damit verbundene Unklarheit bezüglich dem Umfang des räumlichen Geltungsbereichs ist inakzeptabel. Das JSFVG kennt im Gegensatz zum revidierten Datenschutzgesetz (revDSG), welches das Auswirkungsprinzip ausdrücklich regelt (vgl. Art. 3 revDSG), keine entsprechende Bestimmung zum räumlichen Geltungsbereich – die, wie dargestellt, auch der Botschaft widersprechen würde. Damit hat sich der räumliche Geltungsbereich gemäss dem Territorialitätsprinzip auf Abruf- und Plattformdienste mit Sitz in der Schweiz zu beschränken.
Bezeichnend (und unverständlich) ist, dass die ausländischen Akteurinnen wohl von den Schweizer Regeln betroffen sein sollen, jedoch von der Branchenorganisation, welche im Rahmen der Co-Regulierung für den Erlass der Jugendschutzregeln zuständig ist, lediglich angehört oder konsultiert werden können. Ein Mitspracherecht soll ihnen gesetzlich vorenthalten werden.
Überprüfung des Alters bei Abrufdiensten (Art. 1 E-JSFVV)
Um Minderjährige vor für sie ungeeigneten Inhalten zu schützen, ist nicht per se das «Alter» zu prüfen. Es geht darum, festzustellen, ob jemand volljährig ist und falls nicht, darum, dass die minderjährige Person nur Inhalte angezeigt bekommt, die für ihre Altersklasse bestimmt sind (oder im Rahmen der elterlichen Kontrolle zugelassen sind). Dies sollte entsprechend präzisiert werden.
Weiterhin unklar bleib, wie die Alterskontrolle technisch umgesetzt werden soll. Etwas hilflos spricht die Botschaft davon, dass dies über die Einforderung einer Kopie eines Personalausweises geschehen könne. Bei SwisscomTV wäre dies allenfalls sogar noch denkbar. Im internationalen Kontext – wie es nun wie erläutert und entgegen der Botschaft vorgesehen scheint – lässt sich eine solche oder auch eine andere rein schweizerische Lösung weder um- noch durchsetzen (siehe auch weiter unten bei den Plattformdiensten).
Überprüfung des Alters bei Plattformdiensten (Art. 7 E-JSFVV)
Um Minderjährige vor für sie ungeeigneten Inhalten zu schützen, ist eine Alterskontrolle nicht darauf abzustützen, ob eine Plattform «Inhalte zugänglich macht, die für Minderjährige ungeeignet sind», sondern ob diese für sie (ohne Kontrolle) tatsächlich zugänglich sind. Dies sollte entsprechend in der Verordnung präzisiert werden.
Auch hier bleibt weiterhin unklar, wie die Alterskontrolle technisch umgesetzt werden soll. Wenn sich Plattformdienste nach der Branchenregelung der Abrufdienste orientieren müssen, bedeutet dies in der Praxis eine Login- oder Ausweis-Pflicht (da eine solche entsprechend und insbesondere in der Schweiz bereits weitgehend gegeben sein dürfte). Die Beantwortung dieser zentralen Frage auszuweichen und sie an einen branchenfernen Verband zu delegieren, ist unseriös.
Sollte für (insbesondere kleinere und mittelgrosse) Plattformdienste eine Login-/Ausweispflicht (zusammen mit der Pflicht zu einer Vertretung in der Schweiz nach revDSG und kombiniert mit einer Bussandrohung von 40’000 Franken gemäss JSFVG) tatsächlich Realität werden, wäre die naheliegendste Folge, dass die Plattformen Zugriffe von Schweizer IP-Adressen sperren, da die Anforderungen komplett gegen die Logik der (frei zugänglichen) Plattformen ist.
Ungenügender Datenschutz
Selbst mit dem revidierten Datenschutzgesetz ist die Hürde für eine Weiterverwendung der Ausweis- und Personendaten inkl. dem Profiling niedrig. Sollte nach dem Datenschutzgesetz überhaupt eine Persönlichkeitsverletzung vorliegen, kann diese durch ein privates oder öffentliches Interesse gerechtfertigt werden. Dieses Interesse kann auch ein wirtschaftliches sein.
Selbst wenn das JSFVG eine Weiterverwendung dieser Daten untersagen würde (was es nicht tut!), liesse sich ein solches Verbot im Ausland nur schlecht durchsetzen. Das Gesetz würde jedoch dafür sorgen, dass noch mehr Daten ganz allgemein und zum Profiling im Speziellen den Plattformanbietern zur Verfügung stehen.
Geradezu rührselig ist die Feststellung im erläuternden Bericht zur Verordnung, wonach es «in jedem Fall wünschenswert wäre […] dass möglichst datensparsame Verfahren zur Anwendung gelangen». Dies ist notabene der einzige Bezug zum Datenschutz, der sich im ganzen Bericht finden lässt. Immerhin wurde mit «Blick auf die Arbeiten an der staatlichen E-ID» festgehalten, dass die technischen Massnahmen «offen formuliert [sind], um zukünftige technologische Entwicklungen nicht von vorneherein auszuschliessen».
Eine datenschutzfreundliche E-ID, welche eine Alterskontrolle ohne Übermittlung von anderen Merkmalen als zur Verifikation des Alters ermöglicht, könnte eine technische Lösung zur Gewährleistung des Datenschutzes sein. Ein entsprechendes E-ID-Gesetz ist jedoch erst in der Planung. Und auch mit einer E-ID wären allgemeine Alterskontrollen unverhältnismässig. Zudem soll die E-ID freiwillig sein.
Schlussbemerkung
Jugendschutz ist ein wichtiges Thema und muss auch im Internet ernst genommen werden. Die Vielzahl an unterschiedlichen Diensten, der internationale Kontext und der Datenschutz stellen aber schwierige Herausforderungen dar. Mit den aktuellen technischen Mitteln kann der Jugendschutz allenfalls auf Abrufdienste im Inland sinnvoll ausgedehnt werden. Erst mit einer allfälligen Verbreitung von Self-sovereign identity (SSI) könnte sich eine internationale Lösung ergeben. Wobei auch hier eine Ausweispflicht auf relevante Dienste und Inhalte beschränkt bleiben muss. Alternativ sind Ansätze, wie sie der Ständerat zur erwähnten Motion 20.3374 von Nationalrat Nik Gugger am 13. Juni 2023 beschlossen hat, zu prüfen.
Weiterführende Informationen