Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat am 12. September 2024 einen Beschluss über das Polizeigesetz des Kantons Zürich (PolG/ZH) publiziert. Darin beantragt der Regierungsrat dem Kantonsrat, einer überarbeiteten Version der Teilrevision des Polizeigesetzes zuzustimmen. Die Digitale Gesellschaft hat bereits im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zur Teilrevision im August 2023 eine Stellungnahme eingereicht und den Vorentwurf grundsätzlich abgelehnt. An dieser Haltung hat sich nach sorgfältiger Analyse des Regierungsratsbeschlusses nichts geändert. Wir bemängeln insbesondere das fehlende Verbot biometrischer Überwachung, den polizeilichen Datenaustausch, den Einsatz von technischen Überwachungsgeräten und die automatisierte Fahrzeugüberwachung.
Mit der Teilrevision des Polizeigesetzes will die Zürcher Kantonsregierung die Kooperation und Interoperabilität zwischen Sicherheitsbehörden ausbauen. Zudem soll die Grundlage für neue Überwachungsmassnahmen geschaffen sowie die Umstände, unter denen eine gewisse Überwachungsmassnahme zulässig sein soll, definiert werden. Wir sehen darin die Gefahr, dass die Anforderungen an Grundrechtseingriffe durch polizeiliche Zwangsmittel und den Umgang mit besonderen Personendaten herabgesetzt werden. Die Datenbearbeitung und der Datenaustausch unter den Polizeikorps sowie mit Partnerorganisationen bergen grosse datenschutzrechtliche Risiken und schwere Grundrechtseingriffe. Dafür sieht die Teilrevision keine genügenden Kontrollmechanismen vor. Stattdessen enthält sie unverhältnismässige Überwachungsmassnahmen ohne genügende gesetzliche Grundlagen, unzulässige Delegationen, unbestimmte Begriffe und ausufernde Deliktskataloge.
Nachfolgend soll eine Auseinandersetzung mit kritischen Aspekten der Vorlage aufzeigen, aus welchen Gründen die Digitale Gesellschaft die Vorlage weiterhin grundsätzlich ablehnt:
Verbot der biometrischen Überwachung
Weder der Vorentwurf noch der Regierungsratsbeschluss enthält eine Bestimmung zum Verbot der biometrischen Überwachung. Dies bedauern wir ausdrücklich. Denn biometrische Erkennungssysteme im öffentlichen Raum sind schwere, nicht verhältnismässige Eingriffe in die Grund- und Menschenrechte und daher zu untersagen.
Umsetzung der interkantonalen Vereinbarung über den Datenaustausch zum Betrieb gemeinsamer Abfrageplattformen und Datenbanksysteme (POLAP)
Um den polizeilichen Datenaustausch zu fördern, hat die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) eine «Interkantonale Vereinbarung über den Datenaustausch zum Betrieb gemeinsamer Abfrageplattformen und Datenbanksystemen» ausgearbeitet. Die Digitale Gesellschaft hat schon im Februar 2024 eine Stellungnahme zu dieser Vereinbarung eingereicht, worin wir die Schaffung eines schweizweiten Polizeidatenraums kritisiert und die Vereinbarung abgelehnt haben.
Gemäss seiner Vernehmlassungsantwort (PDF) erachtet der Regierungsrat des Kantons Zürich die Umsetzung einer interkantonalen Vereinbarung als unrealistisch. Er begrüsst daher die eidgenössische Lösung, die mit der von der Sicherheitskommission des Nationalrates eingereichten Motion 23.4311 betreffend Schaffung einer Verfassungsgrundlage für eine Bundesregelung des nationalen polizeilichen Datenaustausches angestrebt wird. Nichtsdestotrotz sollen mit der Teilrevision des PolG/ZH die Grundlagen für die neuen gewünschten Datenbearbeitungen geschaffen werden, die inhaltlich den von der KKJPD ausgearbeiteten Musterregelungen entsprechen (vgl. insbesondere § 54a im Regierungsratsbeschluss).
Elektronische Zusammenarbeit
Bei den Bestimmungen zur elektronischen Zusammenarbeit handelt es sich um Bestimmungen, die inhaltlich den von der KKJPD ausgearbeiteten Musterregelungen entsprechen. Sie ermöglichen der Polizei, zur Erfüllung ihrer Aufgaben gemäss §§ 3 ff. PolG (Aufgaben der Polizei) und §§ 7 ff. des Polizeiorganisationsgesetzes (POG; Polizeiliche Aufgaben) sowie für andere, ihr gesetzlich zugewiesene Aufgaben, mit Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden sowie des Fürstentums Liechtenstein auf elektronischem Weg zusammenarbeiten. Neben Schnittstellen zwischen eigenen Informationssystemen und jenen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden sollen auch gemeinsame Systeme mit anderen Behörden betrieben und Daten wie auch (besondere) Personendaten im Abrufverfahren ausgetauscht werden können.
Wir lehnen die Bestimmungen zur elektronischen Zusammenarbeit (§§ 54a – d im Regierungsratbeschluss) in dieser Form ab. Die Zwecke, für die eine elektronische Zusammenarbeit möglich ist, sowie die Schnittstellen und Informationssysteme für die elektronische Zusammenarbeit sind im Gesetz abschliessend zu regeln. Die Notwendigkeit eines Abrufverfahrens ist zu begründen. Es muss eingegrenzt werden, zu welchem Zweck auf welche Daten von welchen Behörden zugegriffen werden kann. Ausserdem sind weitere Kontrollmechanismen vorzusehen. Nur eine Protokollierung der Zugriffe reicht nicht aus. Zudem müssen die Rahmenbedingungen für die elektronische Zusammenarbeit ausdrücklich auf Gesetzesstufe geregelt werden.
Einsatz von technischen Überwachungsgeräten
Wir erachten die Regelung im Vorentwurf als zu unbestimmt. Nun ist der Regierungsrat unserer Forderung beim präventiven Einsatz von technischen Überwachungsgeräten teilweise nachgekommen. Zum einen soll der Einsatz von technischen Überwachungsgeräten nur noch zur Verhinderung und Erkennung von einer Straftat i.S.v. Art. 269 StPO (Voraussetzungen für geheime Überwachungsmassnahmen) zulässig sein, sofern ernsthafte Anzeichen für eine derartige Straftat bestehen. Zum anderen bedarf es analog zur Strafprozessordnung einer Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht bis spätesten 24 Stunden nach dem Einsatz. In der StPO dienen geheime Überwachungsmassnahmen der Aufklärung von begangenen Straftaten. Eine zentrale Voraussetzung für diese Zwangsmassnahmen ist das Vorliegen eines Tatverdachts. Die Massnahmen im PolG hingegen dienen dem präventiven Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und damit der Verhinderung und Erkennung von Straftaten, wobei dafür gerade noch kein Tatverdacht vorliegen muss. Wir fordern daher weiterhin, dass die Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts vorgängig erfolgt.
Automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung
Schon in der Stellungnahme zum Vorentwurf haben wir die automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) grundsätzlich abgelehnt. Der Regierungsratsbeschluss geht allerdings noch weiter. So sollen gemäss § 32e Abs. 1 des Regierungsratsbeschlusses auch Insassinnen und Insassen von Fahrzeugen (durch AFV-Systeme) automatisiert optisch erfasst werden können (im Vorentwurf nur möglich für Fahrzeuge sowie deren Kontrollschilder). Zudem wird der automatisierte Abgleich auf Fahrzeuge und deren Insassinnen und Insassen erweitert (im Vorentwurf nur bei Kontrollschildern möglich, wobei dort nur von Auslesen die Rede ist). Im Gegensatz zum Vorentwurf wird die Bestimmung hinsichtlich des automatisierten Abgleiches konkretisiert. Die erfassten Daten sollen automatisiert abgeglichen werden können mit polizeilichen Fahndungsaufträgen im Zusammenhang mit Delikten gemäss Art. 269 StPO sowie mit Ausschreibungen im nationalen automatisierten Polizeifahndungssystem, im Schengener Informationssystem und in der Fahndungsdatenbank für gestohlene Fahrzeuge von Interpol. Wir begrüssen die grundsätzliche Stossrichtung der Konkretisierung. Es sei allerdings auf die vermeintliche Einschränkung auf Delikte gemäss Art. 269 StPO im Rahmen des automatisierten Abgleichs der Daten mit polizeilichen Fahndungsaufträgen hingewiesen. Diese Einschränkung verkommt zu einem kompletten Leerlauf, wenn gleichzeitig auch ein Abgleich mit weiteren Datenbanken zulässig ist, die weit mehr Informationen enthalten als nur zu Delikten gemäss Art. 269 StPO. Daher fordern wir, dass der Abgleich mit allen genannten Datenbanken nur im Zusammenhang mit Delikten gemäss Art. 269 StPO zulässig sein soll.
Diese Massnahmen (Erfassen, Auslesen und Abgleichen) sind gemäss dem Wortlaut von § 32e Abs. 1 lit. a und b im Regierungsratbeschluss nur zur Fahndung nach vermissten oder im Zusammenhang mit Verbrechen oder Vergehen gesuchten Personen oder Sachen und zur Erkennung, Verhinderung und Verfolgung von Verbrechen oder Vergehen zulässig. Für uns ist allerdings nicht nachvollziehbar, wie das Erfassen, Auslesen und Abgleichen vorgängig auf den gesetzlich vorgesehenen Zweck eingeschränkt werden kann.
Auch nach Hinzuziehung der Erläuterungen zur Bestimmung über die automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung ist für uns überdies weiterhin unklar, wie das optische Erfassen, Auslesen und Abgleichen genau ablaufen soll. In den Erläuterungen steht, dass nur im Falle eines Treffers eine Bildaufnahme erstellt wird. Fraglich ist sodann, wie ein allfälliger Treffer generiert werden soll, ohne dass bereits zuvor eine Bildaufnahme erstellt und mit den genannten Datenbanken automatisiert abgeglichen wird.
Ungeachtet des materiellen Inhalts, kann nicht ernsthaft erwartet werden, dass sich die Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit (KJS) mit einer derart schlecht redigierten und unverständlichen Gesetzesbestimmung auseinandersetzt.
Wir lehnen die automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung grundsätzlich ab. Sollte daran festgehalten werden, so muss der Verwendungszweck eingeschränkt werden. Das heisst, es muss auf alles, was über eine temporäre (nicht stationäre) Überwachung und den unmittelbaren Abgleich vor Ort hinausgeht, verzichtet werden und Nicht-Treffer sind sofort zu löschen. Zudem braucht es Kontrollmechanismen, die im Gesetz festzuhalten sind. Weiter muss sichergestellt sein, dass bei der automatisierten optischen Erfassung einzig Kontrollschilder erfasst werden und nicht auch Fahrzeuge sowie deren Insassinnen und Insassen.