Heute beginnen in der Nationalratskommission (KVF-N) die Anhörungen zur Revision des Fernmeldegesetzes. Bereits im letzten Jahr war die Digitale Gesellschaft eingeladen, sich schriftlich zu äussern. Zu den vier Aspekten «Netzneutralität», «Zugang zur Glasfaser», «Auskunftsrecht» und «Netzsperren» haben wir dies getan. Nun haben wir einen konkreteren Vorschlag zur Regulierung der Netzneutralitität (PDF, französisch, Entwurf) ausgearbeitet.
Regulierung der Netzneutralität
Der Grundsatz der Netzneutralität bedeutet, dass aller Datenverkehr über das Internet gleich behandelt wird: Internet-Zugangsanbieterinnen verhalten sich gegenüber verschiedenen Internetanwendungen, -diensten, -inhalten und an das Internet angeschlossenen Geräten neutral.
Netzneutralität soll für Wettbewerb zwischen diesen Internetdiensten sorgen: Ein für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Schweiz wesentliches Element der Netzneutralität ist das «Innovation-without-Permission»-Prinzip. Es besagt, dass jeder das Internet weiterentwickeln und eigene Dienste und Inhalte anbieten kann, ohne dafür mit den Providern zuerst Verhandlungen führen zu müssen. Dieser Grundsatz unterstützt die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz, weil so die Markteintrittsschranken tief gehalten werden und dadurch permanent neue oder verbesserte Internetdienste und Anwendungen um die Gunst der Kunden buhlen können.
Ein Verzicht auf eine Regulierung der Netzneutralität bringt umgekehrt das Risiko mit sich, dass die Provider ihre Marktmacht gegenüber den Anbietern von Internetdiensten ausnützen, die – gerade in der Schweiz – oftmals KMU sind.
Verletzungen der Netzneutralität
Die Netzneutralität wird in der Schweiz bereits heute verletzt, mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität und die Innovationskraft gerade von Schweizer KMU. So bevorzugen Schweizer Provider bestimmte Anbieter von Internetdiensten und diskriminieren dadurch deren Mitbewerber.
- So wird beispielsweise Kunden von Sunrise die Nutzung des Dienstes WhatsApp auf das in den Abos enthaltene Inklusivdatenvolumen nicht angerechnet (Zero-rating). Bei der Übertragung von Videos über den Dienst und im Ausland (Roaming) kann dies zu einer erheblichen Kostenersparnis führen. Die Konkurrenten solcher Dienste, wie etwa das Schweizer Unternehmen Threema, deren Daten weiterhin auf das Inklusivvolumen angerechnet werden, werden durch solche Praktiken in ihrem Marktzutritt behindert und diskriminiert, weil ihre Kunden Zusatzkosten für die Datenübertragung haben. Alle drei grossen Schweizer Mobilfunkanbieter betreiben derzeit Zero-rating und verletzen auf diese Weise die Netzneutralität.
- Priorisierung wird beispielsweise beim TV-Angebot «Swisscom TV» genutzt, das über die Internetleitung des Kunden verbreitet wird. Andere TV-Anbieter erhalten von Swisscom keinen Zugang zu priorisierter Übertragung. Hier wird von einem Kupferanschluss ausgegangen, welcher technisch nicht in der Lage ist, um z.B. 20 Mb/s Internet (gemäss Kundenabonnement) und gleichzeitig Swisscom TV übertragen zu können. Falls ein Bandbreitenmanagement auf einem „dedizierten Medium“ technisch zwingend nötig ist, kann es jedoch gänzlich dem Kunden überlassen sein, welche Dienste er zu welchem Zeitpunkt bevorzugen oder verlangsamen möchte. Das Endgerät kann mit dem Start des TV-Streams den übrigen IP-Traffic in der Priorität zurückstufen und dem Stream die nötige Bandbreite zuweisen.
- 2016 bestanden erhebliche Verdachtsmomente, dass Swisscom und Cablecom den US-Anbieter Netflix durch eine künstliche Verknappung ihrer Interkonnektionskapazitäten von ihren Kunden fernhalten, um eine entsprechende Bezahlung zu erwirken (zweiseitiger Markt). Es ist dies eine Entwicklung, die vor rund drei Jahren bereits in den USA zu beobachten war, und die vergleichbar ist mit einem Vorgehen von Swisscom im Zusammenhang mit einem Schweizer TV-Anbieter und dem Winterthurer Provider Init7, das derzeit Gegenstand eines Verfahrens vor der Wettbewerbskommission ist.
Oft wird mit «Spezialdiensten» von seiten der Provider geworben: Für «Telemedizin» und «selbstfahrende Autos» sei es notwendig, Überholspuren einzurichten. Wie dargelegt, muss jedoch eine Priorisierung auf der letzten Meile nötigenfalls dem Kunden überlassen sein. Zudem kann auf einem «shared Medium» grundsätzlich keine Mindestbandbreite oder gar eine Verfügbarkeit (von z.B. Mobilfunk) zugesichert und somit ein «Spezialdienst» überhaupt angeboten werden. Für die nötige Interkonnektion kann an den vorhanden Internet Exchanges, durch Caching-Server etc. kostengünstig gesorgt werden.
Die von den Providern im Hinblick auf die Revision des FMG eingerichtete Selbstregulierung zur Netzneutralität (Code of Conduct) lässt den Providern weiterhin grössten Spielraum bei der Verletzung der Netzneutralität, weil die in der Praxis relevanten Verletzungen der Netzneutralität durch den Code gar nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere das Verlangsamen oder Priorisieren von Internetdiensten, Eingriffe in die Interkonnektion und Zero-rating sind weiterhin zulässig. Zudem fehlt jede Durchsetzungskraft.
Wirksame Regulierungsansätze für die Netzneutralität
Der Bundesrat verzichtet im aktuellen Entwurf zu Unrecht auf eine Regulierung der Netzneutralität. Er geht fehl, wenn er davon ausgeht, dass Transparenzpflichten eine Disziplinierung der Provider hinsichtlich Netzneutralitätsverletzungen bewirken werden.
Am offensichtlichsten ist dies in Bezug auf das genannte «Zero-rating», denn Zero-rating liegt im kurzfristigen Kundeninteresse (der Kunde erhält den Zugang zum jeweiligen Diensteanbieter kostenlos). Eine Information der Kunden führt damit erst recht zu einer Diskriminierung der nicht bevorzugten Diensteanbieter, weil sie die Kunden dazu anleitet, nur noch das vergünstigte Angebot zu nutzen. Zero-rating wird durch Informationspflichten also keineswegs einschränkt.
Folgende Grundsätze wären aus Sicht der Digitalen Gesellschaft für die Schweiz im revidierten FMG vorzusehen:
- Nichtdiskriminierung: Keine Unterscheidung zwischen einzelnen Internetdiensten, -inhalten, -anwendungen und -geräten bzw. zwischen jeweiligen Diensteklassen sowohl bei der Datenübertragung im und an den Rändern des Netzes des Providers als auch in kommerzieller Sicht (beispielsweise keine Blockierung oder Verlangsamung, keine künstliche Verknappung von Interkonnektionsmöglichkeiten, kein Zero-rating).
- Netzwerkmanagement soll nur dann zulässig sein, wenn dieses nicht kommerziellen Interessen dient und aus technischen Gründen zur Bekämpfung kurzfristiger Überlastungssituationen gerechtfertigt ist. Es dürfen nur anwendungsagnostische Massnahmen zum Einsatz kommen. Anwendungsspezifische Massnahmen müssen den Endkunden/-Geräten überlassen werden.
- Spezialdienste sollen nicht zulässig sein, da auf dedizierten Medien das Bandbreitenmanagement von den Endkunden/-geräten vorgenommen und auf shared Medien Spezialdienste grundsätzlich nicht zugesichert werden können. Wir müssen davon ausgehen, dass Spezialdienste von den Providern dazu eingesetzt werden, um sich oder affiliierten Unternehmen Vorteile zu verschaffen. Das widerspricht dem Ziel der Netzneutralität, den offenen Märkten.
- Interkonnektion: Ein wichtiger Aspekt der Nichtdiskriminierung liegt darin, dass marktbeherrschende Access Provider an mindestens einem der drei grössten Internet Exchanges in der Schweiz offenes Peering anbieten, wobei die beteiligten Parteien jeweils die Kosten für ihren Anschluss übernehmen. Traffic wird nicht verrechnet.
- Ein weiterer wichtiger Aspekt der Nichtdiskriminierung liegt darin, dass der Endkunde in der Wahl des Netzabschlussgerätes frei sein soll (insbesondere kein Routerzwang).
Regulierungsvorschlag (Änderung zu Entwurf FMG)
Art. 1 Zweck
- g. (neu) einen wirksamen Wettbewerb von Dienste- und Inhaltsanbietern ermöglichen, deren Angebote mittels Fernmeldediensten verbreitet werden.
Art. 2 Begriffe
- i. (neu) Internet: Weltweiter Verbund von Computern und Computernetzwerken auf Basis der durch die RFCs der Internet Engineering Task Force (IETF) beschrieben Protokolle, in dem unterschiedliche Dienste (wie E-Mail, World Wide Web, Telefonie) angeboten werden.
- k. (neu) Netzneutralität: Diskriminierungsfreie Übertragung von Informationen im Internet, insbesondere in technischer oder geschäftlicher Hinsicht und namentlich bezüglich Sender, Empfänger, Inhalt, Dienst, Diensteklassen, Datentyp, Protokoll, Anwendung, Hard- oder Software (Best-Effort-Prinzip).
Art. 12e Netzneutralität (neu)
- 1 Anbieterinnen von Internetzugängen gewährleisten die Netzneutralität.
- 2 Abweichungen sind zulässig, insofern sie geeignet, notwendig und verhältnismässig sind, um
- a) einer gesetzlichen Vorschrift oder Gerichtsentscheidung Genüge zu tun,
- b) die Integrität oder Sicherheit des Netzes, seiner Dienste oder der Endgeräte des Internetnutzers zu gewährleisten;
- c) einer ausdrücklichen Aufforderung des Internetkunden nachzukommen, vorausgesetzt dass dieser die Aufforderung frei und ohne (auch finanzielle) Beeinflussung durch die Anbieterin von Internetzugang oder deren Geschäftspartner geäussert hat; oder
- d) temporäre Auswirkungen von aussergewöhnlichen Fällen von Netzwerküberlastung durch anwendungsunspezifische Massnahmen zu verhindern (Verkehrsmanagement). Dabei sind gleiche Arten von Datenverkehr auch gleich zu behandeln.
- 3 Der Endkunde ist in der Wahl des Netzabschlussgerätes frei (kein Routerzwang) und hat das Recht, öffentliche und global erreichbare Internetadressen zu erhalten.
- 4 Marktmächtige Anbieterinnen von Internetzugängen bieten offenes Peering an mindestens einem zentralen Internet Exchange Punkt an, wobei die beteiligten Parteien jeweils die Kosten für ihren Anschluss übernehmen und der Traffic nicht verrechnet wird.
- 5 Der Bundesrat regelt die Einzelheiten.