Heute Nachmittag hat im Bundeshaus ein Open Hearing zur Revision des BÜPF (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs) stattgefunden. Über 30 Personen sind der Einladung der parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit gefolgt. Neben Branchenvertreterinnen, (Bundeshaus-)Journalisten und Parlamentarierinnen waren auch einige Vertreter der digitalen Zivilgesellschaft im vollen Kommissionszimmer 4 anwesend.
(Bild von Matthias Stürmer via Twitter)
Auf der Pro-Seite machten sich Patrick Rohner vom Bundesamt für Justiz, Dr. Andreas Brunner, leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich, und Dr. Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern, für die Vorlage stark. Sie zeigten wenig Verständnis für die Bedenken der Wirtschaft und Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne, Zürich), der die Online-Petition Nein zum Überwachungsstaat unterschrieben hat. Sachlich und fair starteten schon die Auftakt-Voten nicht: Andreas Brunner unterstellte der Petition (und Balthasar Glättli) die Behauptung «Staatstrojaner seien Diktatorenwerkzeuge». Es sei schlicht falsch, dass es beim BÜPF darum ginge, die gesamte Bevölkerung zu überwachen. Immer wieder wurde auch darauf hingewiesen, dass die Zwangsmassnahmen aus dem BÜPF nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen, ein abschliessender Deliktskatalog gelten würde und sie von einem Zwangsmassnahmengericht bewilligt werden müssten.
Leider konnte auch in der kurzen Diskussion am Schluss niemand mehr darauf hinweisen, dass eine Überwachung nicht erst mit der Auswertung, sondern bereits bei der Aufzeichnung der Daten beginnt. Dies ist bei einer Überwachungskamera nicht anders. Wenn also für 6 – und neu für 12 – Monate das Kommunikationsverhalten aufgezeichnet und Bewegungsprofile der gesamten Bevölkerung angelegt werden, für die hypothetische Möglichkeit, diese Vorratsdaten in einem Strafverfahren verwenden zu können – dann ist dies nichts anderes als eine flächendeckende und rein präventive Überwachung. (Vom geplanten Zugriff der Geheimdienste im Rahmen des neuen Nachrichtendienstgesetzes mal ganz abgesehen.)
Überwachungsgesuche werden von Zwangsmassnahmengerichten in der Regel gutgeheissen. Dies ist keine neue Erkenntnis. Auch wenn dazu die rechtlichen Grundlagen eigentlich fehlen. Dies zeigt sich aktuell beim Einsatz von Staatstrojanern und hat sich vor der letzten Verordnungsänderung bei der «Whole IP Traffic»-Überwachung und den Antennensuchläufen bestätigt. Zudem sind die Provider bereits heute bei Straftaten im Internet gezwungen, zur Teilnehmeridentifikation sämtlich zur Verfügung stehenden Angaben zu machen – unabhängig von der Begrenzung durch die Vorhaltedauer der Vorratsdaten, einem Richtervorbehalt oder einem Straftatenkatalog.
Die Contra-Seite wurde durch Christa Hofmann, Head Regulatory Affairs beim Swico und Dr. Rolf Auf der Maur, Vizepräsident der Simsa vertreten. Im ersten Statement wurden die unverhältnismässige Verdoppelung der Vorratsdatenspeicherung, der weitreichende Straftatenkatalog, die Missbrauchgefahr beim Einsatz von Staatstrojanern und den Ausbau des persönlichen Geltungsbereichs hervorgehoben. Dr. Rolf Auf der Maur sprach dann hauptsächlich die fehlende Konkretisierung im Gesetz, resp. die Dichte der Delegationsnormen (an den Bundesrat) und die hohen Kosten für die Provider an.
Bis zum Schluss – und auch bei den anwesenden ParlamentarierInnen – waren dann die Kosten immer wieder Thema. Wer nun für die Überwachung zu bezahlen hat: Strafverfolgungsbehörden, Provider oder die verurteilten Personen. Und wie hoch sie im Einzelfall und komplett wären.
Sobald es technisch oder juristisch spannend zu werden drohte, wurde die Diskussion hitzig und/der abgeblockt: Inwieweit die Provider sich einer Verfügung widersetzen können (Art. 42 E-BÜPF), wäre eine vertiefte Betrachtung Wert gewesen: Im Abs. 2 wird der Rechtsschutz entscheidend eingeschränkt – und den Providern die Möglichkeit genommen, die Rechtmässigkeit einer Überwachungsanordnung an sich zu bestreiten.
Christa Hofmann ging auf die neuen Statistiken zum BÜPF ein und folgerte, dass eine Verdoppelung der Vorratsdatenspeicherung auf 12 Monate sinn- und nutzlos sei. Wenn man der Argumentation strikt folgt, hätte der Spiess auch umgedreht werden können – und die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung zugunsten eines Quick Freeze-Verfahrens gefordert werden müssen.
Ziemlich dreist hat Andreas Brunner den Einsatz von GovWare verteidigt: Auch bis anhin hätten Telefone überwacht werden können. Es sehe nicht ein, wieso nun beim Trojaner Federal die Messlatte höher anzusetzen sei. Dass sich hier ganz andere technische und juristische Fragen stellen, ging fast komplett unter. Auf die Frage von Balthasar Glättli nach der Gerichtsverwertbarkeit war die sinngemässe Antwort, dass die Strafverfolgungsbehörden gerne bereit seien, Software einzusetzen, die technisch gewährleistet, dass ausschliesslich Telekommunikationsdaten ausgleitet würden – wenn es sie denn gäbe. Doch die Schlussfolgerung hat genau umgekehrt zu sein: Genau weil/solange dies technisch nicht gewährleistet werden kann, darf der Trojaner Federal nicht eingesetzt werden! Auf weitere technische Diskussionen wollte sich Andreas Brunner dann nicht einlassen.
Natürlich kann aus dem Hearing nicht direkt auf den weiteren politischen Prozess geschlussfolgert werden. Dennoch scheinen weiterhin die Strafverfolgungsbehörden mit Ihren Wünschen im Zentrum zu stehen. Für die Provider wird es wohl das eine oder andere Entgegenkommen, wie die bereits zurückgenommene Kostenübernahme und allenfalls bezüglich dem persönlichen Geltungsbereich, geben. Die Zivilgesellschaft scheint grösstenteils auf der Strecke zu bleiben.
(Die Videos sind mittlerweile online)