Zivilgesellschaftliche Organisationen aus ganz Europa, darunter die Digitale Gesellschaft, haben gemeinsam die Kampagne «Reclaim Your Face» gestartet, da die schwerwiegenden Risiken von Gesichtserkennung und anderen biometrischen Überwachungstechnologien im öffentlichen Raum nicht länger ignoriert werden dürfen. Als Reaktion auf die rasche, manchmal verdeckte Einführung von invasiven und teilweise rechtswidrigen Technologien durch Polizei und lokale Behörden in vielen europäischen Ländern fordern wir ein Verbot der biometrischen Massenüberwachung.
Vorratsdatenspeicherung der Offline-Welt
Schon lange warnen zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivist:innen vor biometrischer Identifikation. Obwohl biometrische Überwachungssysteme schlechte Erkennungsraten haben und veröffentlichte Ergebnisse eines deutschen Tests offensichtlich geschönt wurden, wird Gesichtserkennung in immer mehr europäischen Ländern eingesetzt. So plante beispielsweise das Innenministerium Deutschlands zuletzt Anfang 2020, Gesichtserkennungssysteme an 135 deutschen Bahnhöfen und vierzehn Flughäfen zu installieren.
Auch in vielen Städten wird an einer Vorratsdatenspeicherung der Offline-Welt gearbeitet. Dieses technische Aufrüsten findet ohne Beachtung der Risiken und Nebenwirkungen statt. In Hamburg etwa überwachen 190 Kameras den Hauptbahnhof, und Bilder von «hervorragender Qualität» werden bis zu dreissig Tage lang gespeichert. Diese Kamerasysteme sollen zwar noch keine Gesichtserkennung durchführen, jedoch bieten sie die Grundlage für eine nachträgliche Gesichtserkennung auf dem gesammelten Bildmaterial. So wurden während der vier Tage des G20 in Hamburg rund 100 Terabyte an Bildmaterial gesammelt und nachträglich biometrisch analysiert. Löschanordnungen des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten hat die Polizei kurzerhand ignoriert.
Auch am Flughafen Zürich ist geplant, die biometrischen Daten (Gesichtsaufnahme und Fingerabdrücke) von Reisenden aus Schengen-Drittstaaten zu erfassen. Die biometrischen Daten sollen in einer zentralen Datenbank in Strassburg gespeichert werden, damit Polizeibehörden des ganzen Schengenraums darauf Zugriff haben.
Diese biometrische Überwachung verletzt elementare Grundrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Meinungsfreiheit. Menschen, die sich überwacht fühlen, verhalten sich vermeintlich konform. Neben der Meinungsfreiheit ist auch das Recht auf anonyme Teilnahme an Versammlungen gefährdet. Die Polizei kann mit Hilfe ihrer wachsenden Gesichter-Datenbanken immer mehr Menschen jederzeit, ungefragt und auch im Nachhinein identifizieren.
«Wer zum Beispiel bei Demonstrationen befürchten muss, trotz gesetzestreuem Auftreten identifiziert und gespeichert zu werden, der ändert möglicherweise sein Verhalten und geht nicht mehr demonstrieren», so der deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber.
Zusätzlich können auch Dritte dank Gesichter-Suchmaschinen, wie Clearview AI oder Primeyes, Menschen identifizieren.
Kampagne «Reclaim Your Face»
Der Start der europaweiten Kampagne «Reclaim Your Face» durch ein wachsendes Bündnis von Organisationen aus dem EDRi-Netzwerk ist ein deutliches Zeichen gegen die Art und Weise, wie private Unternehmen und Regierungen mit neuen Technologien experimentieren und Bürger:innen auf blosse Datenpunkte reduzieren.
Die Kampagne wendet sich gegen den Einsatz von Gesichtserkennung und anderen biometrischen Überwachungstechnologien im öffentlichen Raum. Das Bündnis setzt sich für informationelle Selbstbestimmung und für das Recht ein, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Und dies ohne ständig als potenzielle Verdächtige oder Versuchskaninchen behandelt sowie ohne permanent beobachtet und analysiert zu werden.
Europäische Bürger:inneninitiative
Am 17. Februar 2021 startet «Reclaim Your Face» eine europäische Bürger:inneninitiative (European Citizen Initiative, ECI), mit der die EU-Kommission aufgefordert wird, Gesichtserkennung zur Massenüberwachung auf EU-Ebene zu verbieten. Solche Initiativen geben Bürger:innen die Möglichkeit, ihre Anliegen in den Gesetzgebungsprozess der EU einzubringen. Gelingt es der Initiative, innerhalb eines Jahres mindestens eine Million Unterschriften von Menschen mit einer EU-Staatsangehörigkeit zu sammeln, muss die EU-Kommission auf die Forderungen der Initiative eintreten.
Die EU überarbeitet zur Zeit ihre Gesetze zur Regulierung der künstlichen Intelligenz. Jetzt ist deshalb der richtige Zeitpunkt, um diese Gesetze zu beeinflussen und mit einem Ja zum Verbot der Gesichtserkennung Freiheit und Demokratie in Europa zu verteidigen!
Jetzt unterschreiben
Wir bitten deshalb alle Leser:innen mit einer EU-Staatsbürgerschaft, diese Initiative zu unterschreiben.