Die zweite Staffel der Serie «Deep Technology Podcast», welche Gedanken aus den verschiedensten Ecken unserer Gesellschaft zu technologie- und digitalisierungsverwandten Themen sammelt und widerspiegelt, startet heute mit einem Interview mit Lars Thomsen. Er spricht als Zukunftsforscher darüber, wie er technologische Innovationen einschätzt und wie diese sich auf Arbeit, Ernährung und Gesellschaft auswirken können. Ein Kommentar zu seinen Einschätzungen.
Technologische Innovation – Angebot oder Zwang?
Zu Beginn erläutert Thomsen seine Wahrnehmung von Technologie und deren Entwicklung: «Technologie soll unser Leben angenehmer, schöner, sicherer, komfortabler machen. Technologie wird aber nicht verordnet, sondern Innovation ist ein Angebot, das man annehmen oder verwerfen kann. Wir [als Gesellschaft] sind nicht Opfer von neuen Technologien sondern können sie auch ablehnen.» Sicherlich kann argumentiert werden, dass Erfindungen wie die Dampfmaschine, Elektrizität und das Internet unser Leben vereinfacht und auf vielen Ebenen ergänzt haben. Jedoch können Technologien Menschen sehr wohl aufgezwungen werden.
Wir haben nicht immer die Möglichkeit, uns gegen eine Innovation zu wehren, die nicht unbedingt unserem Leben zum Besseren verhilft. Ein Beispiel hierfür wären Überwachungstechnologien. Zwar können diese hilfreich bei der Aufklärung von Straftaten sein, jedoch werden sie nicht ausschliesslich in diesem Sinn und Zweck eingesetzt und können gravierende Nebenerscheinungen mit sich bringen – jüngstes Paradebeispiel ist der Pegasus-Skandal: Eine Überwachungstechnologie, die ursprünglich für die Verfolgung von schwersten Verbrechen gedacht war und nun benutzt wird, um zahlreiche Politiker:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen auszuspionieren.
Deep Technology Podcast
Der technologische Fortschritt wirft Fragen auf: Wie steht es um die Zukunft der Arbeit, Datensicherheit oder das Recht auf Privatsphäre? Diktieren Technologien eine neue Realität oder haben wir die Zukunft noch in der Hand? Im Deep Technology Podcast (RSS) diskutieren Menschen in der Schweiz neue Technologien, ihre Hoffnungen, Sorgen und Ängste. Ab dem 5. September 2021 erscheint die zweite Staffel, produziert von Filmregisseur, Autor und Podcaster Manuel Stagars.
Ein weiteres Beispiel für mögliche Wehrlosigkeit stellen soziale Netzwerke dar. Sie haben zwar viele Vorteile, was Kommunikation angeht, können uns aber zeitgleich auf verschiedenen Ebenen schaden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich eine Plattform etabliert hat und ein starker sozialer Druck entsteht, diese zu nutzen. Dann wird oft nachrangig, wie datenschutz(un)freundlich sie ist, oder ob sie dem Konzern nicht nur erlaubt, massiv in unsere Privatsphäre einzudringen, sondern ihm auch die Möglichkeit gibt, uns zu manipulieren, etwa über die Ausgestaltung von Empfehlungsalgorithmen. So können beispielsweise Alter, Geschlecht, Herkunft und Einkommen sowie ideologische Zugehörigkeiten und Gesundheit ermittelt und für personalisierte – auch politische – Werbung missbraucht werden. Vielleicht sind sich die Betroffenen dem Ausmass solcher Datenschutzverletzungen und möglichen Konsequenzen nicht bewusst, vielleicht können sie aber auch schlicht nicht auf die Dienste verzichten, da sie beispielsweise vom Arbeitgeber oder zur Kommunikation in einem Verein vorausgesetzt werden.
Technologische Innovation kann als Angebot voller Vorteile gesehen werden. Eine Blindheit gegenüber den Gefahren, die sie zugleich meist birgt, wäre aber fatal. Am Beispiel der Überwachung zeigt sich: Sie kann zwar die Ermittlungsarbeit der Polizei erleichtern, gefährdet aber zeitgleich Grundrechte wie den Schutz der Privatsphäre und die Meinungsfreiheit, wenn sie flächendeckend und auf Vorrat eingesetzt wird. Das zweite Beispiel zeigt, wie schwer es je nach Kontext für ein Individuum ist, den Schutz und die Sicherheit der eigenen Daten wirksam einzufordern und auf potentiell schädliche Technologien zu verzichten. Technologie und deren Weiterentwicklung ist also oft ein zweischneidiges Schwert, das zu führen unsere Gesellschaft noch meistern lernen muss.
Was fehlt?
Etwas später im Gespräch wird entsprechend die Regulierung von Technologie thematisiert: «Es braucht Leitplanken, Regeln, die auf Ethik und Werten basieren. Wir müssen uns überlegen, was es bedeutet, wenn beispielsweise jeder eine Axt hat und damit Bäume fällen kann, dass nicht plötzlich gar keine Bäume mehr stehen.» Damit Technologien nicht missbraucht werden, sind gesetzliche Schranken nötig. Jedoch folgen diese meist dem technologischen Fortschritt nach dem Motto «Was möglich ist, wird auch gemacht». Zudem ist nicht selbstverständlich, dass staatliches Handeln dem Legalitätsprinzip folgt, wie es am Schweizer Beispiel der Austauschplattform Justitia 4.0 zu sehen ist. So wird die Plattform, welche für die elektronische Kommunikation im Justizwesen vorgesehen ist, bereits beschafft, bevor überhaupt die gesetzliche Grundlage dafür vorhanden ist. Wenn wir nicht klare Leitlinien aufstellen und befolgen, riskieren wir, dass technologische Entwicklungen zwar einer guten Intention entspringen, langfristig jedoch grundlegende Werte unserer demokratischen Gesellschaft unterminieren.
Technologie und Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit der Zukunft beschäftigen Thomsen: «Fleischproduktion ist nicht nachhaltig. Man kann heute aus Pflanzen künstliches Fleisch herstellen, das besser schmeckt als jeder Burger. Es geht auch darum, wie wir nachhaltig Nahrung für alle Menschen der Welt produzieren können. Wir müssen mit Technologie die grossen Themen angehen.» So sieht er in der Nutzung neuer Technologien mögliche Lösungen globaler Probleme, etwa Hungersnöten. Zweifelsohne kann Technologie in unzähligen Bereichen sinnvoll eingesetzt werden – zur Behandlung schwerer Krankheiten über die Unterstützung von Menschen im Alltag bis hin zur Wissensvermittlung. Dafür muss die notwendige Innovation aber gemeinwohlorientiert und nachhaltig verlaufen. Als Gesellschaft stehen wir immer vor der Frage, wie wir es hinkriegen, das Gemeinwohl ins Zentrum der Betrachtung einer bestimmten Technologie zu stellen.
Thomsen geht davon aus, dass in rund 200 Wochen unsere Welt um 180° gedreht ist und nichts mehr so sein wird, wie wir es kennen. Intelligente Toaster, die den eigenen Toast genau so grillen, wie es jede:r persönlich mag. Arbeit wird nicht mehr eine physische oder psychische Belastung darstellen und Menschen erfüllen sich mit ihrer Arbeit selbst, statt sie als Muss zum Überleben wahrzunehmen. Diese Visionen klingen verlockend. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass auf demokratische Weise gerechte Grundlagen geschaffen werden, die verhindern, dass Technologien missbraucht werden oder nur wenigen Privilegierten nützen.