Drei Tage nach der denkwürdigen E-ID-Abstimmung wurden von Mitgliedern aus allen Fraktionen im Nationalrat sechs gleichlautende Motionen eingereicht, die ein Neustart des Projekts verlangen. Nachdem der Bundesrat die Annahme empfohlen hatte, fand gestern die Debatte im Nationalrat statt.
Einige Äusserungen sind es wert festgehalten, zu werden:
Am Anfang interessierten die Abstimmung rund um die E-ID und die Diskussion wohl nur ein paar Nerds. Es wäre aber falsch, zu glauben oder zu denken, dass die Abstimmung verloren ging, weil die Leute ein grundsätzliches Problem mit der Digitalisierung hätten oder weil sie die Sache nicht verstanden hätten. Tatsächlich berührte die Diskussion rund um die E-ID Grundsatzfragen zum Verhältnis von Staat und Privaten, zu den Aufgaben und der Verantwortung des Staates in der digitalen Welt. Es ging aber auch darum, welchen Nutzen die Digitalisierung hat, und für wen dieser Nutzen ist.
Min Li Marti (SP)
Die Stimmberechtigten haben entsprechend mit 64 Prozent Nein zu einer privatisierten E-ID gesagt. Dabei ging es aber den meisten nicht um eine grundsätzliche Opposition gegen die E-ID an und für sich:
Wie die Nachwahlbefragungen gezeigt haben, wurde der Grundsatz einer E-ID an der Referendumsabstimmung in diesem Frühling nicht bestritten. Dass aber die Vorlage eine Verquickung der Ausstellung und der Anwendung des Ausweises vorsah und überdies beides privaten Unternehmen überlassen wollte, hat zu einem wuchtigen Nein zur Vorlage geführt. Eine Mehrheit der Menschen will nicht, dass private Unternehmen amtliche Ausweise ausstellen; diese hoheitliche Aufgabe soll der Staat übernehmen. Deshalb debattieren wir heute eine Motion, die nur drei Tage nach dem Abstimmungssonntag im März sechsfach gleichlautend aus allen Fraktionen eingereicht werden konnte. Der Bundesrat seinerseits hat den Ball aufgenommen, deshalb geht es jetzt schnell, und das ist gut so.
Gerhard Andrey (GRÜNE)
Zur Schaffung von Vertrauen und zur Förderung von Innovation ist eine Open Source Lösung gefordert:
Aus diesem Grund – lassen Sie mich das noch kurz aus Sicht eines Programmierers sagen – sind Open Sources wichtig. Es sind praktisch alle politischen Lager für das Öffentlichkeitsprinzip. Die Umsetzung dieses Prinzips bei der Digitalisierung, der Programmierung bedeutet, dass man mit Open Sources arbeitet. Es ist wichtig, dass es offene Standards gibt, mit denen man auf die neuen Funktionalitäten der E-ID zugreifen kann – das ist Innovationsförderung.
Jörg Mäder (GLP)
Bundesrat und Parlament tun gut daran, eine neue Vorlage mit der notwendigen Sensibilität und Umsicht auszuarbeiten:
Zwar reden heute alle von Digitalisierung, jedoch hat erst im Zusammenhang mit der Vorlage zur E-ID eine breite öffentliche Diskussion zur Digitalisierung stattgefunden. In der Ablehnung der Vorlage kamen zum Teil durchaus auch ein gewisses Misstrauen und Ängste gegenüber der Digitalisierung zum Ausdruck. Im Titel der Motion sprechen wir von einer vertrauenswürdigen E-ID.
Simon Stadler (Mitte)
Nationalrat Marcel Dobler bedankt sich für den Miteinbezug der Verlierer:innen:
Die Referendumsführer, die das Gesetz erfolgreich bekämpft haben, sehen ebenfalls die Vorteile einer staatlichen ID. Bereits in der Woche vor der Abstimmung, als sich die Ablehnung des Gesetzes abzeichnete, kamen die Referendumsführer auf mich zu, um einen konstruktiven Vorschlag für einen neuen Anlauf hin zu einer E-ID zu erarbeiten. Es ist alles andere als selbstverständlich, mich oder, sagen wir, die Verlierer mit einzubeziehen, um konstruktiv mitwirken zu können. An dieser Stelle möchte ich mich bei den involvierten Personen für das Vertrauen und die konstruktive Arbeit bedanken.
Marcel Dobler (FDP)
Entsprechend gibt der Bundesrat nun den weiteren, schnellen Takt vor:
Es war die erste Volksabstimmung überhaupt zu einem digitalen Thema. […] Der Bundesrat möchte Ihnen im Bereich der elektronischen Identität, der E-ID, so rasch wie möglich einen neuen Vorschlag präsentieren. […] Am 2. September fand das erste vom Bundesrat beschlossene Treffen des Beirats Digitale Schweiz zum Thema E-ID statt. Dabei habe ich mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, den Kantonen sowie der Verwaltung über die Zukunft der E-ID in der Schweiz diskutieren können. […] Die öffentliche Konsultation wird am 14. Oktober mit einer Konferenz abgeschlossen. Das Ergebnis der laufenden Diskussion dient dem Bundesrat als Basis für seinen Richtungsentscheid, welchen er bis Ende 2021 treffen will. Die Vernehmlassung zu einem neuen E-ID-Gesetz wird voraussichtlich Mitte 2022 eröffnet. Vor diesem Hintergrund beantragt der Bundesrat, die Motionen anzunehmen.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter
Der Nationalrat hat mit 145 Stimmen für die Motionen gestimmt. Die 39 Gegenstimmen kommen aus der SVP, weil sie keine Schweizer E-ID wollen…
Das Geschäft dürfte im Ständerat eine Formsache sein.