In der zweiten Episode der aktuellen Staffel des Deep Technology Podcasts spricht die Psychiaterin und Autorin Esther Pauchard über die Rolle von Mensch und Maschine, das Verhältnis von Arbeits- zu Freizeit sowie über Technologie und Kult. Sie tut dies spitz und intelligent. Die Episode ist in gleichem Masse inspirierend wie unterhaltsam.
Technologischer Fortschritt ist kein Selbstläufer
Esther Pauchard, leitende Ärztin bei der ambulanten Suchtbehandlung Berner Oberland und Autorin von Kriminalromanen liefert in der neusten Folge des Deep Technology Podcasts eine wilde Achterbahnfahrt durch verschiedenste von der Digitalisierung erfasste Gesellschafts- und Lebensbereiche. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund, spitzt zu – manchmal etwas gar scharf – liefert in der Summe aber unzählige erfrischende Perspektiven und intelligente Gedankengänge, die in gleichem Masse inspirieren wie unterhalten.
Wenngleich sich Pauchard weigert, «negativistisch zu sein» und neue Technologien folglich als «grundsätzlich etwas Positives» erachtet, so äusserst sie sich insgesamt dennoch deutlich kritischer als der erste Gast des Deep Technology Podcasts, Zukunftsforscher Lars Thomsen. Immer wieder kommt sie auf die Schattenseiten der realen Digitalisierung zu sprechen. Ihr Grundtenor: Technologischer Fortschritt sei kein Selbstläufer. Wir müssten als Gesellschaft etwas dafür tun, dass sich neue Technologien tatsächlich positiv auf unser Leben auswirken. Eine deutlichere Absage an die weit verbreitete Konsum- und Erwartungshaltung, welche die Digitalisierung in unseren Breitengraden oft begleitet, scheint kaum möglich.
Deep Technology Podcast
Der technologische Fortschritt wirft Fragen auf: Wie steht es um die Zukunft der Arbeit, Datensicherheit oder das Recht auf Privatsphäre? Diktieren Technologien eine neue Realität oder haben wir die Zukunft noch in der Hand? Im Deep Technology Podcast (RSS) diskutieren Menschen in der Schweiz neue Technologien, ihre Hoffnungen, Sorgen und Ängste. Ab dem September 2021 erscheint die zweite Staffel, produziert von Filmregisseur, Autor und Podcaster Manuel Stagars.
Alles ist relativ
Verlockend sei es natürlich, die «doofen», sprich die repetitiven und mühsamen Arbeiten an die Maschine, den Computeralgorithmus, den Roboter abzugeben. Doch angesichts des bereits beträchtlichen Automatisierungsgrades in verschiedensten Arbeitsbereichen scheint das schlicht so nicht zu funktionieren. Kaum jemand sei glücklicher als vorher. Denn das, wofür es den Menschen während einer solchen Entwicklung noch brauche, werde immer komplexer, schneller und anforderungsreicher. Salopp formuliert beraube uns die Digitalisierung der einfachen, bequemen Arbeiten.
Jene postmaterialistischen Werte, welche unter Begriffen wie Work-Life-Balance, Zeitwohlstand oder Quality time figurieren, scheint Pauchard brutal zu relativieren: Aus der Warte der Suchtexpertin bezieht Freizeit ihren Wert insbesondere daraus, dass sie als Gegenstück zur Arbeitszeit fungiert, ein Kontrast zu dem darstellt, was wir machen müssen. Ermögliche uns der technische Fortschritt einfach eine weitere Reduktion der Arbeitszeit, so verlöre gleichzeitig die Freizeit an Reiz. Denn ohne die Arbeitszeit fehlt es dem Menschen am Bewertungsmassstab für die freie Zeit.
Pauchard drückt das so aus: «Wir geniessen das Bessere mehr, wenn wir das Schlechtere auch haben». Diese Einsicht vermisst sie bei all jenen Fortschrittsgläubigen, welche sich einfach auf eine Reduktion oder Ausradierung aller unangenehmen Tätigkeiten verbohrten.
Fehler machen, Mensch!
Ein ähnliches Problem konstatiert sie in der Gegenüberstellung menschlicher und maschineller Leistung. «Im Moment klinge es so, als sei dieser menschliche Faktor – der eine klare Begrenzung in der Datenverarbeitung und der Geschwindigkeit kenne – ein Störfaktor, den es auszuhebeln gelte.» Stattdessen sollten wir uns vermehrt aufs Menschsein besinnen, uns überlegen, was wir als Menschen eigentlich wollten, statt darum zu wetteifern, die bessere Maschine zu sein, mahnt die Psychiaterin.
Zentral sei dabei auch die Frage nach den Fehlern. Sie habe oft den Eindruck, Ziel technischer Entwicklung sei es, die Fehlerquote herabzusetzen, möglichst auf Null. Das könne verheerend sein, denn Menschen lernten nun mal über Fehler. Sie seien nicht zuletzt ein «Kreativitätspool». Ohne Fehler käme letztlich jegliche Entwicklung zum Stillstand.
Innovation nach dem Motto «Oops!»
Immer wieder stellt Pauchard jedoch fest, dass die technologische Entwicklung weitaus schneller stattfinde als die Gesellschaft sich passende Ziele setze. «Wir schauen, ob wir es können, statt zu überlegen, ob wir es wollen.» Worte, denen man sich insbesondere im Bereich des maschinellen Lernens bzw. der «künstlichen Intelligenz» und dem ganzen Rattenschwanz, welche diese Umbrüche nach sich ziehen, deutlich mehr Gehör wünschte.
Die Psychotherapeutin sehnt sich denn auch nach mehr Reflexion vor der Vollendung technologischer Tatsachen. Denn einmal da, sei es ungleich viel schwieriger, diese wieder umzukehren. In ihren Worten: «Nimm mal einem Kind etwas wieder weg, woran es Freude gefunden hat.»
Beispielhaft dafür steht für Pauchard der Technologiekult, welchen Elon Musk rund um seine unternehmerischen Abenteuer pflegt – etwa Neuralink, einer Firma, welche die Entwicklung einer potenten Hirn-Computer-Schnittstelle zum Ziel hat. Würde das Projekt nicht bereits derart an Hybris kranken, müssten wir uns wohl bereits alle ernsthaft Sorgen machen. Denn die Gesellschaft, so Pauchard, feiere den Milliardär Musk als Superhelden, statt sich Gedanken über die mannigfaltigen Folgen einer solchen Innovation zu machen. Für Sie als Therapeutin wäre es eine schaurige Vorstellung, mittels eines solchen Gerätes in die Köpfe ihrer Patient:innen blicken zu können. Eine rationale gesellschaftliche Reaktion wäre, Musk in die Psychiatrie einzuweisen – Fünf-Punkte-Fixation – scherzt die Krimiautorin.
Im Gegensatz zu den Horrorszenarien der digitalen Psychometrie, wie sie etwa reichlich während des Skandals rund um das politische Mikrotargeting des Datenanalyse-Unternehmens Cambridge Analytica gemalt wurden, sieht die praktizierende Psychiaterin tatsächlich noch keine grossen Veränderungen ihres Fachgebiets. Apps zur Gemütserkennung von Patient:innen etwa seien noch «Science Fiction».
Fragt sich bloss, ob sich dies wirklich auf den mangelnden technologischen Entwicklungsstand und nicht vielmehr auf die kapitalistische Ressourcenallokation moderner Wohlstandsgesellschaften zurückführen lässt: Psychotherapie ist vermutlich einfach kein besonders lukratives Geschäftsfeld – ganz im Gegensatz zu Public Affairs und anderen Ausprägungen der öffentlichen Meinungsbeeinflussung. Wobei dieser Einschub freilich Spekulation des Autors bleiben muss.
Gefordert sind Übersetzer:innen
Esther Pauchard sieht eine mögliche Lösung der schwelenden Überforderung der Gesellschaft durch die rasante Technologieentwicklung in der vermehrten Etablierung von «Übersetzer:innen», welche den breiten Rest der Gesellschaft auf einer möglichst unabhängigen und auch für Nicht-Nerds zugänglichen Ebene über die tatsächlichen Chancen und Risiken einer neuen Entwicklung aufklären. Entscheidend dabei sei natürlich die Vertrauensfrage.
Die Digitale Gesellschaft sieht sich klar in dieser Übersetzerinnen-Rolle und wir werden nicht Müde, neue Projekte in Angriff zu nehmen, um diesem Anspruch gerecht zu werden.