In der fünften Folge der aktuellen Staffel des Deep Technology Podcasts sind die Nationalrät:innen Min Li Marti (SP, ZH) und Jörg Mäder (GLP, ZH) zu Gast. Der Podcast wurde aufgenommen im Rahmen des Stammtisches der Digitalen Gesellschaft in der Bitwäscherei Zürich am 21. Oktober 2021. Manuel Stagars spricht mit den beiden Gästen darüber, wie Menschen in der Schweiz auf die Schweizer Politik Einfluss nehmen können, wo sie selbst im Umgang mit neuen Technologien vorsichtig sind und warum es mehr Visionen für die Zukunft braucht.
Stimmen aus dem Volk in der Politik
In vorherigen Episoden des Podcasts haben sich mehrere Gesprächspartner:innen durchaus skeptisch gegenüber neuen Technologien geäussert. Oft kam auch der Vorwurf an die Schweizer Politiker, dass sie neue Technologien zu wenig verstünden und sich deswegen zu wenig mit ihnen beschäftigten. Die Bedenken der Schweizer Bevölkerung würden von Politiker:innen auch zu wenig erkannt und ernst genommen und deswegen kaum in die Politik einfliessen.
Das Gespräch beginnt mit der Frage, wie die Schweizer Politik den Vorbehalten gegenüber neuen Technologien aus dem Volk begegnet. Darauf sagt Min Li Marti: «Generelle Aussagen wie, ‹die Politik muss etwas machen, um Technologie zu regulieren›, helfen uns leider wenig. Solche Anliegen müssen viel konkreter formuliert sein.» Jörg Mäder fügt ihrer Aussage hinzu, dass Massenmails von Petitionswebseiten wenig bringen würden, da sie darauf nicht reagieren könnten. Individuell gestaltete Anfragen beantworte er jedoch wenn immer möglich, sagt er. Die Schweizer Politik gibt sich also offen für informelle Anregungen aus dem Volk, diese müssen jedoch klar formuliert sein und direkte Ansatzpunkte liefern. Jörg Mäder gibt auch zu bedenken, dass Politiker:innen keine Rechtsberater seien, und Min Li Marti relativiert, dass die Politik nicht mit jeder Angst aus dem Volk rational umgehen könne, da viele Menschen oft gar keine rationale Antwort erwarten würden. «Manchmal möchten die Leute einfach, dass die Politiker:innen ihre Meinungen ernst nehmen», sagt sie. Widerstand gegen neue Technologien, wie beispielsweise 5G, sei häufig auch ein Ausdruck von Unzufriedenheit von vielen, weil sie sich abgehängt und nicht ernst genommen fühlten, gibt sie zu bedenken.
Wie viel Einfluss kann die Schweizer Bevölkerung denn tatsächlich auf die Politik nehmen? In der Schweiz sei der Einfluss der Bevölkerung auf die Gesetzgebung wohl einiges besser als in anderen Staaten, und wir seien diesbezüglich weltweit in der Spitzengruppe, sagt Jörg Mäder. Allerdings befänden wir uns alle in einer Bubble, und viele Leute meinten, ihre Bubble sei repräsentativ für die gesamte Bevölkerung. Dies sei sowohl bei Befürworter:innnen neuer Technologien so und auch bei ihren Gegner:innen. Diejenigen, die den Eindruck hätten, die anderen seien nur einseitig informiert und sie selber hätten die ausgewogene Information, genau das sei ein Ausdruck vom Gefangensein in einer Bubble. Nicht alle Vorwürfe an die Schweizer Politiker:innen haben somit tatsächlich eine rationale Grundlage.
Deep Technology Podcast
Der technologische Fortschritt wirft Fragen auf: Wie steht es um die Zukunft der Arbeit, Datensicherheit oder das Recht auf Privatsphäre? Diktieren Technologien eine neue Realität oder haben wir die Zukunft noch in der Hand? Im Deep Technology Podcast (RSS) diskutieren Menschen in der Schweiz neue Technologien, ihre Hoffnungen, Sorgen und Ängste. Ab dem September 2021 erscheint die zweite Staffel, produziert von Filmregisseur, Autor und Podcaster Manuel Stagars.
Sorglosigkeit und Radioaktive Zahnpasta
Oft käme es Min Li Marti vor, sagt sie, dass die Leute einigen Technologiethemen zu wenig skeptisch gegenüber stünden, wie beispielsweise dem Datenschutz. Da seien viele Menschen in der Schweiz ziemlich sorglos unterwegs, sie selbst auch. Jörg Mäder fügt ein historisches Fact hinzu, nämlich, dass im Viktorianischen Zeitalter, als Forscher die Radioaktivität entdeckten, radioaktive Stoffe sogar in die Zahnpasta gemischt und als Allheilmittel angepriesen wurden. «Das ist zwar tragisch, doch heute lachen wir darüber, und in zwei bis drei Generationen wird man vielleicht über uns lachen, wie wir mit Daten, Fake News, Sozialen Medien und Deep Fakes umgingen.» Die Sorglosigkeit ist also kein Phänomen unserer Zeit, sondern auch in der Vergangenheit lief die Menschheit mit neuen Technologien mehrmals naiv gegen eine Wand. Immer, wenn neue Entwicklungen anstünden, seien wir voll in einem Wandel drin, in dem es unklar sei, wohin genau er hinführt. Jörg Mäder übt dann auch Selbstkritik. Die Politik sei generell einen halben Schritt hintendrein, wenn nicht mehr, gibt er nur halb scherzhaft zu bedenken.
Min Li Marti nimmt den Faden gleich auf und kontert, dass gewisse Fehleinschätzungen normal seien, dass wir jedoch nicht mehrmals in Folge dieselben Fehler machen müssten. Die Politik sei langsam und der Fortschritt schnell, doch gerade in einer direkten Demokratie sei ja eigentlich jede und jeder Teil des politischen Prozesses. Hiermit schlägt sie nochmals den Bogen zur ersten Frage, und lädt die Gesellschaft zur aktiven politischen Partizipation ein, auch wenn die digitale Kompetenz des Parlaments in den vergangenen Jahren stark angestiegen sei.
Künstliche Intelligenz ohne gesunden Menschenverstand
Manuel Stagars fragt die Nationalrät:innen dann nach ihren eigenen Ängsten vor neuen Technologien, und Jörg Mäder ergreift das Wort. Besonders wichtig fände er, dass man sich überlege, in welche Medien man noch Vertrauen habe. Mit Deep Fakes und einer Propagandamaschine, in der künstliche Intelligenz, den Menschen uneingeschränkte Bestätigung gäbe, bestünde die Gefahr, dass wir alle in einer Bubble landen, in der Meinungen, die sich von unserer eigenen unterscheiden, kaum mehr Platz hätten. «Wenn das zu extrem wird, gibt das keine stabile Gesellschaft, so wie wir das in einigen Teilen der Vereinigten Staaten beobachten können», meint er.
Min Li Marti fügt hinzu, dass der Sinn von Technologie doch sei, die Gesellschaft besser zu machen, und nicht, die Gesellschaft so zu kneten, dass sie der Technologie und ihren Erfinder:innen diene. Dass Problem sei, dass Fortschritt oft alternativlos dargestellt würde. «Müssen wir wirklich künstliche Intelligenz beispielsweise im Bereich Polizei und Justiz anwenden, nur weil es die anderen auch machen?» wirft sie in die Runde. So würden gerade im Bereich der Bekämpfung der Kriminalität und des Terrorismus viele Grundrechte verloren gehen, ohne dass wir genau wüssten, wieviel es real bringe. Mit elektronischen Mitteln gäbe man noch mehr von sich Preis, und das mache ihr manchmal Sorgen, sagt sie, auch weil künstliche Intelligenz nicht diskriminierungsfrei sei. Jörg Mäder bringt es daraufhin auf den Punkt: «Künstliche Intelligenz hat keinen gesunden Menschenverstand.»
Einfluss der Techindustrie und Lobbies auf die Politik
Dann geht es um den Einfluss der Industrie und ihrer Interessenvertreter:innen in der Schweizer Politik. Der Einfluss der Techindustrie auf Schweizer Politiker:innen halte sich noch in Grenzen. Viel stärker sei der Einfluss der Gesundheitsbranche als der der Techindustrie. Letztere wolle vor allem ungestört ihrem Businessmodel nachgehen und möglichst viel Geld verdienen. Ihre wichtigste Währung sei Gewinn, sagt Jörg Mäder. Min Li Marti widerspricht: Die digitale Wirtschaft in der Schweiz habe schon einen Einfluss auf die Politik. Man habe manchmal den Eindruck, dass gewisse Verbände, wie beispielsweise «Digital Switzerland», das Gefühl hätten, sie könnten in der Verwaltung bestellen, was sie wollten. Das ist auch in der Landwirtschaft und anderen Branchen so, das gehöre in der Politik dazu, sagt sie.
Jörg Mäder spricht dann ein tieferliegendes Problem an. Wie er es in China oder Amerika beobachte, ginge es einigen Tech-Unternehmern nicht mehr nur um Geld, sondern um Einfluss und Meinungsbildung. Viele Branchen würden für indirekte Ziele instrumentalisiert, das fände er problematisch. Das Internet der Dinge beispielsweise sei lange in einer Bastlerecke gewesen, doch jetzt werde es langsam kommerziell. «Wann wird das Internet der Dinge instrumentalisiert werden? Wenn die Gesellschaft von einer Branche geknetet wird, dann stört mich das», sagt er.
Digitaler Graben und fehlender Dialog
Dann schlägt das Gespräch den Bogen zum aktuellen Diskurs über neue Technologien. Es gäbe zwar die Möglichkeit, für die Öffentlichkeit, die Politiker:innen auf ihre Bedenken aufmerksam zu machen, doch der Austausch zwischen Gesellschaft und Politik funktioniere nur so halb; die Digitalisierungsdialoge seien noch viel zu elitär, sagt Min Li Marti. Es seien die immer gleichen Leute dabei, die bereits relativ viel wüssten und schon mit Tech arbeiteten. Der Zugang zum Thema sei schwierig, und der Dialog sollte mit Leuten geführt werden, die auch nicht aus der Tech-Community kämen, genauso, wie es in diesem Podcast sonst der Fall sei.
Gibt es in der Schweiz also einen spürbaren digitalen Graben? Min Li Marti bejaht. Neben der Gesellschaft existiere dieser auch in den Fraktionen und Parteien, und er sei oft auch ein Genderproblem. Solange das noch so bleibe, könne man leider keine breite Diskussion über neue Technologien führen, sagt sie. In anderen Themen hätten ja auch alle das Gefühl, sie könnten mitreden, beispielsweise bei politischen Themen wie «der Wolf» oder «Burka». Das müsse bei Technologie auch so sein. Wieso ist es denn noch nicht so?
Es wäre besser, wenn im Vornherein mehr Technologiefolgenabschätzung gemacht würde, doch dafür fehlten Ressourcen und Personal, sagt Min Li Marti, und Jörg Mäder bestätigt dies. «Wir haben wenige Ressourcen für Technologieexpert:innen, um Vernehmlassungen zu Technologiethemen zu schreiben. Die, die viel wissen, sind nicht unabhängig, und die die unabhängig wären, wissen zu wenig. Das ist das Expert:innenproblem.»
Doomsday, blutige Nasen, Zukunftsvisionen
Dann fragt Manuel Stagars die Nationalrät:innen, wie sie denn die Zukunft sähen, wenn es unverändert weitergehe in der Schweizer Politik und ihrem Umgang mit neuen Technologien. «Es kann nicht so weitergehen, wir wollen die Digitalisierung aber auch nicht rückgängig machen», sagt dazu Jörg Mäder. «Es wird Gegenbewegungen geben, und wir werden lernen, mit der Technologie umzugehen, so wie wir das auch in der Vergangenheit mit Innovationen getan haben.» Wenn wir jedoch weiterhin nur Trial und Error machen würden mit neuen Technologien, dann werde es viele blutige Nasen geben. Wir müssten auch mit digitalen Technologien herausfinden, welche Produkteklassen gefährlich seien und diese regulieren, sagt Jörg Mäder.
Min Li Marti gibt zu, dass sie etwas schwanke zwischen Doomsday und einer eher fatalistischen Haltung nach dem Motto «es kommt schon gut». Interessant fände sie, wenn wir genauere Vorstellungen und Visionen hätten von der Zukunft, Mit dem Grundeinkommen hätten wir das ein bisschen, doch auch das sei eher negativ geprägt. Die positiven Visionen fehlten ihr, sagt sie.
Auf die Fragen, was er sich für die Zukunft wünsche, hat Jörg Mäder sofort eine Antwort. Wenn wir weiterhin mit acht Milliarden Menschen auf der Welt leben wollten, bräuchten wir digitale Technologie, um unser Zusammenleben zu optimieren, sagt Jörg Mäder. Auch bei der Medikamentenforschung liege noch einiges drin, und zudem hoffe er, dass bald Roboter gefährliche und schädliche Berufe übernehmen könnten. Persönlich hoffe er auf zuverlässige automatische Übersetzungsprogramme, mit deren Hilfe man mit jedem Menschen in der Welt reden könne. Eine koreanische Netflix-Serie mit einer Software-generierten simultanen Live-Übersetzung sehen zu können ganz ohne Untertitel, das fände er spektakulär. Min Li Marti wünscht sich, dass wir auch weiterhin Technologie nutzen um die Lebensgrundlage für uns zu sichern. Persönlich sei sie jedoch eigentlich zufrieden im Moment.