Die Vorratsdatenspeicherung beschäftigt die Digitale Gesellschaft seit Beginn an. Was diese bedeutet, und warum die Fachgruppe Vorratsdatenspeicherung ihretwegen ein Gerichtsverfahren bis nach Strassburg vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angestrengt hat, fassen wir hier zusammen.
Die Vorratsdatenspeicherung ist so übel, wie das Wort schon klingt. Sie schreibt Anbieterinnen von Post-, Telefon- und Internetdiensten in der Schweiz vor, das Kommunikationsverhalten ihrer Kund:innen für sechs Monate aufzuzeichnen; sprich die Daten der Nutzer:innen verdachtsunabhängig auf Vorrat zu speichern.
Diese Daten beinhalten Informationen, wie wer wann wen von wo und für wie lange kontaktiert hat. Enthalten sind also explizit auch Standortdaten, welche im Falle der Mobiltelefonnutzung ein sehr genaues Bewegungsprofil ergeben können. Sie umfassen aber noch viel mehr. Was diese Daten verraten, zeigte Balthasar Glättli bereits 2014. Die Digitale Gesellschaft hat zur Vorratsdatenspeicherung ein umfassendes Faktenblatt erstellt.
Die Vorratsdatenspeicherung stellt eine eklatante Verletzung des Grundrechts auf Privatsphäre dar, welches durch die Schweizer Bundesverfassung garantiert und auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. Demgegenüber behaupten Behörden, dass die Vorratsdatenspeicherung für die Prävention und Verfolgung von Verbrechen zwingend nötig sei. Verschiedene Strafrechtsexpert:innen widersprechen dieser Argumentation allerdings, wie etwa ein wissenschaftliches Gutachten des deutschen Max-Planck-Instituts zeigt: Kriminologische Statistiken zeigen schlicht keinen Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Vorratsdatenspeicherung und höheren Aufklärungsquoten bei Verbrechen.
Das Bundesverfassungsgericht in Deutschland hatte die Vorratsdatenspeicherung bereits 2010 als unzulässig erklärt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) lehnte die anlasslose und verdachtsunabhängige Massenüberwachung bereits dreimal ab. 2018 erklärte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, was gemäss EuGH gegen die EU-Grundrechtecharta verstosse, sei auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht vereinbar.
2014 erhob die Digitale Gesellschaft Beschwerde in der Schweiz gegen die Vorratsdatenspeicherung. Am Bundesgericht, entgegen der hohen Gerichte auf internationaler Ebene, wurde die Vorratsdatenspeicherung nicht für grundrechtswidrig oder unverhältnismässig erklärt. Jedoch wurde das Auskunftsrecht über die gesammelten Daten für Kund:innen auch für Vorratsdaten gesprochen: Über datenauskunftsbegehren.ch können Menschen in der Schweiz Auskunft über ihre Daten verlangen.
Die Beschwerde wurde zum EGMR weitergezogen und ist dort hängig. Die Beschwerde wird von sechs Beschwerdeführern der Digitalen Gesellschaft getragen, unter ihnen Nationalrat Balthasar Glättli und der Jurist und Chefredaktor vom Beobachter Dominique Strebel.
Alle wichtigen Links zur Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung in chronologischer Reihenfolge:
- Stellungnahme vom 20.4.2013 zum Entwurf des neuen BÜPF:
- Gesuch vom 20.2.2014 auf Unterlassung der Vorratsdatenspeicherung beim Dienst ÜPF:
- Verfügung vom 30.6.2014 vom Dienst ÜPF
- Beschwerde vom 2.9.2014 beim Bundesverwaltungsgericht
- Urteil vom 9.9.2016 vom Bundesverwaltungsgericht
- Beschwerde vom 15.12.2016 beim Bundesgericht
- Urteil vom 2.3.2018 vom Bundesgericht
- Beschwerde vom 27.9.2018 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
- Schriftenwechsel am EGMR
- Antwort der Schweiz (10. März 2023)
- Stellungnahme der Digitalen Gesellschaft (30. Juni 2023)