Die Digitale Gesellschaft hat sich 117 anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Berufsverbänden angeschlossen, welche die Europäische Kommission alle mit Nachdruck auffordern, die sogenannten «EU-Rechtsvorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet», kurz CSA-Verordnung, zurückzuziehen und durch einen Ansatz zu ersetzen, der die Grundrechte wahrt.
Die Unterzeichnerinnen dieses offenen Briefes setzen sich aus einem breiten Spektrum von Gruppen zusammen, die sich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen – einschliesslich der digitalen Rechte von Erwachsenen und jungen Menschen, des Schutzes von Journalist:innen und der Medienfreiheit, von Rechtsanwält:innen, Whistleblower:innen, der Geschlechtergerechtigkeit, der Demokratie und des Friedens, von Arbeitnehmer:innen und mehr. Wir setzen uns gemeinsam für den Schutz der Online-Privatsphäre, der Cybersicherheit und des Rechts auf freie Meinungsäusserung für alle weltweit ein – Kinder und Jugendliche eingeschlossen.
Diese Rechte ermöglichen es uns, unsere Arbeit zu machen, unsere Stimme zu erheben und die politischen Institutionen zur Rechenschaft zu ziehen, ohne willkürliche Eingriffe, Verfolgung oder Repressionen befürchten zu müssen. Diese Rechte sind auch wichtig für die vertrauliche Unterstützung von Überlebenden von Übergriffen, für die Entwicklung unserer Autonomie und unseres Selbstbewusstseins sowie für den Zugang zu fast allen anderen Menschen- und Bürgerrechten, die unsere Gesellschaften über das letzte Jahrhundert erkämpft haben.
Nun müssen wir davor warnen, dass die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene CSA-Verordnung sehr wahrscheinlich weit mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen wird. Eine lesenswerte Einordnung des Unterfangens lieferte etwa Holger Bleich diese Woche im c’t Magazin. Unter anderem würden Provider gezwungen, die Inhalte ihrer europäischen Nutzer:innen auf Anweisung einer nationalen Behörde eines Mitgliedslandes hin zu durchleuchten. Mit der technischen Folge, dass entweder echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, wie sie etwa die Messenger-App Signal bietet, aufgehoben oder andernfalls sogenanntes Client-Side-Scanning implementiert werden müsste. Beides führte letztlich zur Schaffung einer mächtigen Massenüberwachungsinfrastruktur, welche vertrauliche Kommunikation untergräbt und leicht auf weitere Anwendungsgebiete ausgeweitet werden könnte.
Im unbestrittenermassen wichtigen Kampf gegen den sexuellen Missbrauch und die Ausbeutung von Kindern unterstützen wir Massnahmen, die zielgerichtet, wirksam und verhältnismässig sind. European Digital Rights (EDRi) hat Anfang dieses Jahres zusammen mit verschiedenen Mittgliedsorganisationen dargelegt, wie sichergestellt werden kann, dass Massnahmen zum Schutz von Kindern im Internet im Einklang mit den bestehenden Menschenrechten, der Rechtsstaatlichkeit und ordnungsgemässen Verfahren durchgeführt werden können. In unserer Arbeit erfahren wir unmittelbar, wie wichtig solche Regeln und Grundsätze für die demokratische Meinungsbildung, den Zugang zur Justiz sowie die Aufrechterhaltung der Unschuldsvermutung sind.
Leider sind solche Massnahmen in der vorgeschlagenen Gesetzgebung nicht zu finden. Tatsächlich stützt sich der Vorschlag auf Technologien, die nicht in der Lage sind, das zu tun, was die Verordnung behauptet. Stattdessen werden verschlüsselte Kommunikation, offene Interneträume und Online-Anonymität stark behindert bis verunmöglicht. Deshalb fordern wir zusammen mit 72 anderen Organisationen, dass die EU-Kommission bei diesem wichtigen Thema nochmals grundlegend über die Bücher geht und einen Gesetzesvorschlag ausarbeitet, der weder fundamentale Grundrechte aushöhlt noch zu behördlichem Missbrauch einlädt. In anderen Worten: Wir fordern eine Regulierung, welche die Privatsphäre, die Cybersicherheit und die freie Meinungsäusserung respektiert.
Der offene Brief ist derzeit in Englisch und Deutsch verfügbar und kann von weiteren Organisationen unterzeichnet werden.