Das Joint Statement zur Plattformregulierung wird in der netzpolitischen Community kontrovers diskutiert. Insbesondere das Thema der Eingrenzung von Desinformation schlägt hohe Wellen. Daher möchten wir wie folgt Stellung nehmen und zur weiteren Debatte einladen.
Im Rahmen der Vernetzungsplattform Politpulse wurde ein Joint Statement zur Plattformregulierung erarbeitet, welches den Bericht des BAKOM vom November 2021 aufgreift und zehn Vorschläge macht. Der Text wurde von der Digitalen Gesellschaft mit erarbeitet und mitunterzeichnet. Er verfolgt vier Ziele:
- Die Demokratische Kontrolle stärken
- Vor Diskriminierung und Manipulation schützen
- Hassrede bekämpfen
- Zugang zu Information stärken und Desinformation eingrenzen
Die Verfasser:innen stellen im Umgang mit Hassrede und Desinformation fest, dass heute private Plattformen entscheiden, welche Accounts (Beispiel Trump) oder welche Falschinformationen, die oft auch zu Hassrede führen (Beispiel Künast) gesperrt werden resp. stehen bleiben. Die privaten Plattformen haben heute die alleinige Verantwortung, aktiv zu werden (oder nicht). Dies geschieht oft auch mehr oder minder willkürlich und meist erst auf öffentlichen Druck hin (Beispiel Trump). Es gibt keine Transparenz über die angewandten Regeln, keine Transparenz über die Verfahren und keine Möglichkeiten, sich zu wehren, wenn Beiträge gelöscht oder Accounts gesperrt werden. Viele Staaten, auch die Schweiz und die EU, erachten Hassrede und Desinformation heute als ernstes Problem und überlegen oder implementieren Massnahmen dagegen.
Die vier diesbezüglich vorgeschlagenen Massnahmen im Joint Statement verfolgen das Ziel der Stärkung der Grundrechte:
- Verfahren: Begründung von Löschungen, Beschwerdesysteme, Schlichtungsverfahren («Notice and Action», siehe Art. 14 DSA)
- Kennzeichnung von politischer und kommerzieller Werbung sowie der Finanzierungsquelle
- Eingrenzung von Desinformation: Kennzeichnung von Social Bots
- Stärkung der digitalen Informations- und Nachrichtenkompetenz
Die Eingrenzung von Desinformation meint, das bewusste, massenweise Verbreiten falscher Informationen weniger attraktiv zu machen und Anreize zu eliminieren. Eine Regulierung sollte nicht primär an den Inhalten, sondern den Mechanismen ansetzen, die zur Verbreitung der fraglichen Informationen beitragen. Ein Datenzugang für Forschung, Zivilgesellschaft und Journalismus ist daher essentiell unf folglich eine Hauptforderung des Joint Statements. Der Text grenzt sich denn auch bewusst von anderen Ideen in der politischen Debatte ab. Namentlich:
- Jegliche Desinformation von den Plattformen verbannen (Seite 10: «Eine freie Gesellschaft muss auch unliebsame und unbequeme Meinungen aushalten»)
- Private oder staatliche Instanzen schaffen, die Wahrheitsministerien gleichkommen (Seite 10: «Gleichzeitig gilt es zu vermeiden, dass privatisierte oder staatliche ‹Wahrheitsministerien› geschaffen werden.»)
- Den Plattformen die Verantwortung für ihre Inhalte geben (Seite 6: «Plattformen sollen auch keine generelle Pflicht haben, proaktiv alle Inhalte zu überwachen, die auf ihnen veröffentlicht werden [‹General Monitoring›]. Um Overblocking zu verhindern, sollte der Grundsatz, dass Plattformen nur beschränkt haftbar gemacht werden können für die Inhalte, die auf ihnen publiziert werden, beibehalten werden.»)
Anstatt privater Organisationen müssen rechtsstaatliche Instanzen zur Klärung (Kennzeichnung, Löschung, Sperrung von Inhalten und Accounts) herangezogen werden, die auf der Basis von Gesetzen (insbesondere dem Strafgesetzbuch) urteilen. Als Beispiel könnte zunächst die Plattform handeln, dann eine Behörde mit einer Verfügung entscheiden und abschliessend Gerichte urteilen. Für die gesetzliche Zulässigkeit des staatlichen Eingriffs, resp. der gerichtlichen Klärung müssen klare rechtsstaatliche Grundlagen und klare rechtsstaatliche Verfahren (durch Verfassung und Gesetz festgelegt) gegeben sein, unter welchen ein Eingreifen möglich ist. Im Rahmen einer Plattformregulierung müsste typischerweise unterschieden werden, was die Pflichten der Plattformen und die Rechte einer Aufsichtsbehörde (in einem neuen Gesetz) sowie was illegale Tätigkeiten der Nutzer:innen der Plattformen (via Strafgesetzbuch) wären.
Die politische Diskussion um die Problematik von Hassrede, Falschinformation und Desinformation hat die EU wie auch die Schweiz längst erreicht. Das Joint Statement greift diese Diskussionen auf und schlägt grundrechtskonforme Massnahmen vor, um die Themen zu adressieren. Damit ist diese Perspektive Teil der Debatte und der Diskurs wird nicht denjenigen Akteur:innen überlassen, welche die Überwachung ausbauen und Vor-Filterung von Inhalten auf den Plattformen implementieren wollen.
Der Vorstand der Digitalen Gesellschaft nimmt die kontroverse Diskussion innerhalb der Community ernst und lädt zur Diskussion ein, insbesondere mit den Organisationen, die sich durch das Joint Statement nicht vertreten fühlen. Auch am Winterkongress wird die Plattformregulierung Thema sein.