Die Digitale Gesellschaft hat den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in den letzten Jahren mehrfach um Auskunft und Löschung der über sie bearbeiteten Daten ersucht. Antworten vom NDB erhielten wir nur mit grosser Verzögerung und unvollständig. Aus der Einsicht zeigt sich, dass der NDB systematisch und unrechtmässig Daten über die Digitale Gesellschaft gesammelt und gespeichert hat. Wir geben einen Überblick über die Ergebnisse unserer Auskunftsgesuche – und haken nach.
Im Juni 2019 haben wir ein Auskunftsgesuch an den Nachrichtendienst des Bundes eingereicht, uns sämtliche Daten, die in den Informationssystemen des NDB über die Digitale Gesellschaft gespeichert sind, herauszugeben. Erst im Mai 2020 hat uns der NDB geantwortet. Was eigentlich innert der gesetzlichen Frist von 30 Tagen zu erfolgen hätte, hat fast ein Jahr gedauert. Ausserdem wurde uns die Auskunft dabei nur bis zum Datum unseres Auskunftsbegehrens erteilt, womit fast ein Jahr möglicher Speicherung fehlte.
Als wir daraufhin um eine aktuelle Auskunft baten, mussten wir wiederum fast ein Jahr auf eine Antwort warten. Eine zwischenzeitliche Nachfrage unsererseits will der NDB gar nie erhalten haben – obwohl uns eine Empfangsbestätigung vorliegt. Nach mehrmaligem Nachfragen und Verzögerungen des NDB haben wir erst vier Jahre später, im Mai 2023, eine mehr oder weniger vollständige Antwort (PDF) erhalten.
Ob die Auskunft tatsächlich vollständig ist, ist schwer zu sagen. Denn der Nachrichtendienst erteilt seine Auskunft in tabellarischer Form. Aus dieser Aufstellung bleibt oft unklar, in welchem Zusammenhang Einträge gespeichert wurden und ob die Einsicht vollständig erteilt wurde (vgl. auch Rechtsgutachten Public Eye, Rz. 63).
Der NDB hat zahlreiche politische Aktivitäten und Meinungsäusserungen der Digitalen Gesellschaft gespeichert. Neben mehreren Vernehmlassungsantworten der Digitalen Gesellschaft und zahlreichen Zeitungsartikeln, in denen die Digitale Gesellschaft erwähnt wird, finden sich in einem Protokoll des Morgenrapports des NDB ohne weiteren Kontext Sätze wie: «Digitale Gesellschaft stellt immer wieder provokative Fragen zum NDG». Damit verstösst der NDB gegen das absolute Verbot, Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit in der Schweiz zu beschaffen (Art. 5 Abs. 5 NDG).
Besonders brisant ist der Eintrag vom 3. September 2019, wonach die Digitale Gesellschaft im «Zusammenhang mit einem Telegram-Chat mit Bezug zum Aufgabengebiet des NDB genannt [wird], weil eine IP-Adresse am Sitz [der Digitalen Gesellschaft] diesen Chat abonniert hat». Auf Nachfrage antwortet der NDB, er sei von einem ausländischen Partnerdienst im Rahmen der Terrorismusbekämpfung um Auskunft über diese IP-Adresse ersucht worden, wobei Abklärungen des NDB einen Bezug zur Digitalen Gesellschaft ergeben hätten. Weitergehende Informationen könne er aufgrund der internationalen Zusammenarbeit nicht geben. Wir wissen also weder, um welchen Telegram-Chat noch um welche IP-Adresse es sich handelt. Die Digitale Gesellschaft hat an ihrem Sitz aber gar keine IP-Adresse.
Auch falsche Treffer wurden uns geliefert. So steht in einem Eintrag: «Der Name der Digitalen Gesellschaft wird wie folgt erwähnt: «Il s’agit de rendre aux personnes concernées le contrôle de leurs donnéees qui, avec l’évolution de la société digitale, font l’objet de collectes massives («big data») et de traitements qui sont de moins en moins transparents (par ex. profilage basé sur des algorithmes).»» Mit «société digitale» ist wohl die Digitalisierung der Gesellschaft als gesellschaftliche Entwicklung gemeint und nicht der Verein «Digitale Gesellschaft», dessen französischer Name wohlgemerkt «Société Numérique» lautet.
Insgesamt ergibt sich aus den Antworten ein unübersichtliches Bild von unrechtmässig beschafften, aber inzwischen gelöschten Daten, solchen, die immer noch unrechtmässig gespeichert sind, und solchen, bei denen aus der tabellarischen Auskunft des NDB nicht klar wird, worum es sich handelt und in welchem Zusammenhang die Digitale Gesellschaft erfasst wurde. Von den insgesamt 120 Einträgen zur Digitalen Gesellschaft wurden inzwischen 46 gelöscht.
Aufruf
Nicht nur über die Digitale Gesellschaft speichert der Nachrichtendienst exzessiv und rechtswidrig Informationen. Die Organisation Public Eye und eine Recherche der Republik zeigen, wie der NDB entgegen den gesetzlichen Überwachungsschranken Informationen über die politische Betätigung und die Meinungsäusserungsfreiheit speichert und dabei Einzelpersonen und NGOs systematisch überwacht. Ein Aufruf verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen fordert deshalb dazu auf, im Zuge der laufenden Revision des Nachrichtendienstgesetzes Einsicht in die eigenen Daten beim Nachrichtendienst zu verlangen, um möglichst viele Beispiele für die grundrechtswidrige Praxis des NDB zu sammeln. Eine Vorlage für das Einsichtsgesuch gibt es unter grundrechte.ch.
Unsere letzte Auskunft vom NDB ist auf den 8. Mai 2023 datiert und damit bereits fast wieder ein Jahr alt. Deshalb reichen wir im Rahmen des Aufrufs erneut ein Einsichtsgesuch (PDF) ein, um eine aktuelle Auskunft über alle vom Nachrichtendienst gespeicherten Daten zur Digitalen Gesellschaft zu erhalten, in der Erwartung, nicht wieder ein Jahr auf eine Antwort warten zu müssen.