Die Digitale Gesellschaft hat eine Stellungnahme zum Konsultationspapier betreffend die Handlungsoptionen der Schweiz im Bereich des grenzüberschreitenden Zugriffs auf elektronische Beweismittel im Rahmen von Strafverfahren eingereicht. Anders als das Bundesamt für Justiz (BJ) sehen wir vorerst keinen dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf, da die Systeme der Schweiz und der EU gar nicht miteinander kompatibel sind. Wir bevorzugen daher die Handlungsoption «Wait and See». Eine Effizienzsteigerung in der Strafverfolgung darf nicht zulasten des Datenschutzes und der Grundrechte erfolgen. Eine Alternative sehen wir in einer Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens.
Die USA haben im März 2018 den CLOUD Act verabschiedet. Die EU hat ihr e-Evidence-Paket im Sommer 2023 erlassen. Das Bundesamt für Justiz (BJ) hat beide Gesetzgebungsprojekte in Berichten analysiert. In der Konsultation hat das BJ nun die Handlungsoptionen der Schweiz im Bereich des grenzüberschreitenden Zugriffs auf elektronische Beweismittel im Rahmen von Strafverfahren (e-Evidence) aufgezeigt (PDF). Die Optionen lassen sich grob in die drei Kategorien «Passivität», «eigenständige Lösung» und «Verhandlungslösung» unterteilen. Mittels vier Fragen befragte das BJ gezielt eine interessierte Öffentlichkeit, um ein möglichst klares Bild zum weiteren Vorgehen zu erhalten.
Die Digitale Gesellschaft bevorzugt die Handlungsoption «Wait and See» («Passivität»). Eine Effizienzsteigerung in der Strafverfolgung darf nicht zulasten des Datenschutzes und der Grundrechte erfolgen.
Die Option «Konfliktvermeidung» (Variante der eigenständigen Lösung) sieht die Schaffung einer Ausnahmeregelung von Art. 271 StGB vor. Gemäss Art. 271 StGB begeht ein Dienstanbieter eine verbotene Handlung für einen fremden Staat, wenn er der Anordnung der Strafverfolgungsbehörde eines EU-Mitgliedstaates Folge leistet. Dies soll auch weiterhin der Fall sein. Eine derartige Vermeidung von Rechtskonflikten ist für uns indiskutabel, weil dadurch potenziell der Datenschutz der Schweizer Einwohner:innen gefährdet wird, ohne dass sich daraus für die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden irgendein Nutzen ergibt.
Es müssen auf EU-Ebene zuerst Mechanismen geschaffen werden, damit ein wirksamer Schutz der legitimen Interessen von Einwohner:innen der Schweiz bei einer Herausgabeanordnung einer EU-Behörde in jedem Fall gewährleistet werden kann. Die Verordnung enthält zwar Ablehnungsgründe, die gegen eine Herausgabe- und Datenspeicherungsanordnung geltend gemacht werden können. Allerdings verfügt die zuständige Behörde in der Schweiz möglicherweise nicht über die Information, dass es sich bei einer betroffenen Person beispielsweise um eine Journalistin handelt, deren Überwachung verboten wäre. Zu beachten ist auch, dass es für die Staatsanwaltschaft eines Staates, in dem die Unabhängigkeit von Exekutive und Judikative nicht vollumfänglich gewährleistet ist, möglich wäre, dass der Antrag für die Herausgabe von Verkehrs- und Inhaltsdaten von einer richterlichen Behörde genehmigt wird.
Bei allen Handlungsoptionen (abgesehen von «Wait and See») sehen wir zudem die Inkompatibilität des Schweizer Systems und des EU-Systems als Hürde. In der Schweiz ist die Vorratsdatenspeicherung zulässig, in der EU hingegen nicht. Der EuGH hat schon mehrfach entschieden, dass die Vorratsdatenspeicherung grundrechtswidrig ist. Es ist unklar, wie bei einer Herausgabeanordnung von einer Behörde eines EU-Mitgliedstaates an einen schweizerischen Dienstanbieter sichergestellt werden würde, dass nicht Daten aus der Vorratsdatenspeicherung in die EU gelangen.
Eine Alternative sehen wir in einer Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens. Dieses schwerfällige und zeitaufwändige Verfahren nimmt bis heute oft viele Monate in Anspruch. Daher soll es so angepasst werden, dass es insbesondere den Herausforderungen im Bereich der Erhebung der elektronischen Beweismittel besser begegnen kann.
Weiterführende Informationen