Abhörstation Leuk, Verestar, nun Signalhorn AG
Bereits im Jahr 2000 beim Verkauf einer Satelliten-Bodenstation von Swisscom an die US-amerikanische Gesellschaft Verestar gab es Bedenken wegen möglicher Spionage. Diese Station in Leuk (Oberwallis) hat sich Gelände und Infrastruktur mit dem Abhörsystem Satos 3 geteilt, das vom VBS betrieben wird. Vom Verkauf betroffen waren auch kleinere Stationen in den Städten Genf, Basel und Zürich. Für den Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten war schon damals klar, «dass auch der Schweizer Luftraum vom Lauschangriff der amerikanischen und britischen Geheimdiensten betroffen ist, egal ob jetzt die Satellitenanlage in Leuk von einem NSA-Ableger gekauft wurde oder nicht.» [1]
Eine Antwort vom Bundesrat auf eine Interpellation konnte 2001 nicht ganz überzeugen: «Die Firma Verestar betreibt jedoch nur Transit- und Access-Dienste in der Telekommunikation und hat daher keine Kenntnisse über den Inhalt der zu transportierenden Kundeninformationen. Die Gesellschaft arbeitet nicht mit so genannten klassifizierten Daten, weder für behördliche Institutionen noch für andere Kunden. Dies hat die Gesellschaft der Swisscom AG gegenüber versichert. Verestar […] unterliegt […] den Regeln des Fernmeldegesetzes (FMG).» [2]
Satos 3 heisst heute Onyx, und die Firma Verestar ist umfirmiert in Signalhorn AG – geblieben sind die Bedenken.
Gemäss einer Reportage der ZDF Sendung «Zoom» vom September 2013 hätte die NSA in Deutschland keinen Zugang mehr zu Daten mit Inlandsbezug. Diese Einschränkung sei jedoch kein Problem, denn Daten «mit Deutschlandbezug kann der NSA problemlos anderswo bekommen – von seinen Abhörstationen in Dänemark und der Schweiz».
Der Tages-Anzeiger vom 13.9.2013: «Trifft die Schilderung des ZDF zu, hätte dies in der Schweiz zweifellos ein politisches Erdbeben zur Folge, denn gemäss Schweizer Gesetz ist der Betrieb solcher Anlagen durch einen fremden Nachrichtendienst ebenso im höchsten Mass verboten wie fremder Direktzugriff auf eine Anlage, die durch die Schweiz betrieben wird und ihr gehört.» [3]
Die Rolle der Signalhorn AG bleibt jedoch im Dunkeln. Der NDB wiegelt ab: «In Leuk sind sie [die Infrastrukturen des Schweizer Satellitenabhörsystems] völlig getrennt von jenen des privaten Providers, der die übrigen Antennen auf dem angrenzenden Areal betreibt.» Und nein, «weder die NSA noch eine andere US-Behörde haben einen direkten Zugriff auf diese [unsere] Daten.» [3]
Zwei Monate später greift «swissinfo» das Thema nochmals auf:
Der ehemalige Justizminister Christoph Blocher erklärte in der «Schweiz am Sonntag»: «Es ist eindeutig, dass die Schweiz mit amerikanischen Nachrichtendiensten zusammenarbeitet.»
Und: Doch auch wenn die Signalhorn AG effektiv die Datenübertragung für einen ausländischen Geheimdienst überwachen würde, könnten die Behörden nur dann eingreifen, wenn die Gespräche und Daten aus der Schweiz abgehen oder innerhalb des Landes ausgetauscht würden. Handle es sich lediglich um Daten aus dem Ausland, «würde das de facto kein Schweizer Gesetz verletzen», schreibt das VBS. [4]
Interessant hierzu ist auch der gegenteilige Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte (GPDel) vom 10. November 2003 über das Projekt «Onyx» [5]. Dieser hält fest:
«Diese Sachlage mag paradox erscheinen. Während sämtliche Staaten die Spionage auf ihrem Territorium durch ihre Gesetzgebung im Allgemeinen verbieten – in der Schweiz ist dies mit Artikel 271–274 und Artikel 301 StGB der Fall –, wird die Frage der Rechtmässigkeit der Spionage zu Friedenszeiten im Völkerrecht weder auf der Vertrags- noch auf der Gewohnheitsebene geregelt. Diese Feststellung gilt auch für die Abhörung von Kommunikationen: In den meisten Staaten werden der Abhörung von Kommunikationen auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet enge gesetzgeberische Grenzen gesetzt, jedoch scheinen die Abhörungen im Ausland von keiner internationalen Rechtsordnung verboten zu werden.»
Die GPDel kommt trotz Unbehagen jedoch zum Schluss:
«Die GPDel ist der Meinung, dass dieses Spannungsfeld zwischen den durch die Schweiz im Ausland realisierten Abhörungen einerseits und dem Grundsatz der nationalen Souveränität sowie dem Völkerrecht andererseits nicht mit normativen oder konventionellen Massnahmen gelöst werden kann; ansonsten müsste auf einen Auslandsnachrichtendienst verzichtet werden. Dieses Problem erfordert einen politischen Ansatz, der diese Fragen in Abhängigkeit der jeweils auftretenden Situation von Fall zu Fall regelt.»
Wenn die NSA via Signalhorn AG in Leuk spionierte – und selbst Informationen über Personen in der Schweiz gewinnen würde – würde dies der Schweizer Nachrichtendienst allenfalls sogar begrüssen. Hält die GPDel in ihrem Bericht doch auch das Überwachen von ausländischen Vorgängen für fremde Dienste für nützlich und nötig:
«Die dank Onyx empfangenen Informationen bilden auch ein nützliches «Tauschmittel» mit den entsprechenden Dienststellen im Ausland. Diese Beziehungen basieren auf der Grundlage eines gegenseitigen Gebens und Nehmens, d.h. nach dem Prinzip des «do ut des». Die schweizerischen Dienste können nur dann hoffen, von ihren Partnern Informationen zu erhalten, wenn sie ihnen als Gegenleistung ebenfalls interessante Informationen anzubieten haben.»
«Botschaftsüberwachung»
Weltweit betreibt die NSA 80 Abhörstationen in diplomatischen Vertretungen der USA. In Genf dürfte sie sich auf dem Dach der amerikanischen UNO-Mission befinden. Die Station in Genf gehört zu den bemannten, d.h. es sind auch Einheiten des «Special Collection Service» (SCS) vor Ort, die Mobiltelefon, WLAN, Funk und Satellitenkommunikation abhören. Auch Edward Snowden gehörte einst zu diesem Team. [6][7]
«Weitere Einheiten dürften sich in der US-Botschaft in Bern sowie beim US-Konsulat in Zürich befinden», sagte zudem ein ehemaliger NSA-Mitarbeiter zur «Schweiz am Sonntag». Speziell in Zürich soll auch Abhörtechnik zum Einsatz kommen, die möglicherweise im Konsulat selbst stationiert ist. Laut dem NSA-Mitarbeiter sind die Amerikaner in Zürich besonders an Informationen über den Finanzplatz interessiert: «Ziel ist auch das nahe Liechtenstein.» Zudem habe es die NSA von hier aus auch auf Zug abgesehen. Im Fokus stünden dort Rohstoffhandelskonzerne. [8]
Wirtschaftsspionage und geklaute Laptops in Genf
Der Schweizer Diplomat Nicolas Imboden gerät – wohl wegen seiner Tätigkeit für afrikanische Staaten, die er im Kampf gegen hohe US-Baumwollsubventionen vertreten hat – ins Blickfeld der NSA. Sein Name erscheint daraufhin auf einer Überwachungsliste der GCHQ [9]. Sein Notebook wird entwendet, die Kommunikation überwacht:
«Wenn [sogar] ich als Zielperson in der Datenbank auftauche, muss man davon ausgehen, dass die Überwachung offenbar sehr engmaschig ist.», zitiert die «Schweiz am Sonntag» den Diplomaten bereits im Dezember 2013. [10]
Ein Jahr später arbeitet die Rundschau den Fall nochmals auf [11]:
Erst auf Nachfrage orientierte der NDB Nicolas Imboden über das Resultat der Untersuchung: «Nach einer gründlichen Analyse stellten unsere Experten fest, dass Ihre Computer nicht mit aktiven Spähprogrammen infiziert sind. Das ist eine gute Nachricht, aber es schliesst leider nicht vollständig aus, dass sensible Daten abhanden gekommen sind.»
Und weiter: Die Politik in Bern hüllt sich in Schweigen über die Aktivitäten der NSA in der Schweiz. Paul Niederberger, Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation und Nidwaldner CVP-Ständerat, erfährt erst durch die Rundschau-Recherchen vom Fall Imboden – und gibt keinen Kommentar dazu ab: «Die Frage ist: Was ist der Mehrnutzen, wenn man mehr Informationen bekäme. Es würde gar nicht viel mehr bringen, als was man bisher schon weiss.» […] Doch hat der Sicherheitsausschuss der Landesregierung in einem geheimen Beschluss die Akte Snowden anschliessend beiseite gelegt? Dies behauptet ein Insider. Es werde nicht untersucht, was die NSA gegenwärtig in der Schweiz mache. GPDel-Präsident Niederberger kann sich nicht an einen solchen Beschluss erinnern: «Wir erhalten so viele Akten, ich kann nicht sagen, ob wir das tatsächlich sahen oder nicht.»
Überwachung des Bankensektors
In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger im Mai 2014 erklärt Glenn Greenwald: «US-Dienste zeigen – unter anderem – grosses Interesse an Banking und Geldflüssen. […] Es gibt Hinweise in den Dokumenten, dass die NSA das Schweizer Bankensystem ausspioniert. Erst muss man diese Unterlagen genauer auswerten.» [12]
Betroffenheit
Nicolas Imboden sieht seine Rolle als eher unbedeutend – und ist entsprechend überrascht, dass selbst er durch die NSA und GCHQ überwacht worden ist. Klar wird an seinem Beispiel auch, dass diese Geheimdienste zum Vorteil der Wirtschaft und nicht ausschliesslich aus Sicherheitsüberlegungen bespitzeln.
Auch die Überwachung aus den diplomatischen Vertretungen dient wirtschaftlichen oder politischen Zielen, während eine Gefahr durch Terroristen nicht erkennbar ist. Dasselbe gilt für den Bankensektor. Dass diesem Hinweis bis jetzt nicht weiter nachgegangen worden ist, erstaunt. Scheint doch neben der Kundschaft auch ein kompletter Wirtschaftszweig betroffen.
Für die Öffentlichkeit ist die Tätigkeit der Signalhorn AG aktuell unklar. Falls von Schweizer Territorium aus Kommunikation überwacht würde, wäre dies grundsätzlich eine strafbare Handlung:
- Verbotene Handlung für einen fremden Staat (Art. 271 StGB)
- Verbotener politischer Nachrichtendienst (Art. 272 StGB)
- Verbotener wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273 StGB)
- Verbotener militärischer Nachrichtendienst (Art. 274 und 301 StGB)
(Dieser Text ist das erste Kapitel aus dem Bericht der Digitalen Gesellschaft zur Massenüberwachung durch die Geheimdienste.)